Moorehawke 02 - Geisterpfade
abwenden. Die Teilnahmslosigkeit, mit der Christopher dort stand und sich von Razi in seine schmutzigen Sachen helfen ließ, hatte etwas Grauenhaftes – selbst ohne hinzusehen, war es kaum zu ertragen. Wynter hörte Razi sagen: »Heb das Bein, Chris. So ist es gut. Und jetzt das andere. Brav. Und jetzt binde ich das fest, einverstanden? Chris? Geht das so? Streck den Arm aus, Chris …«
Über dem Wald stieg die Sonne höher, Lichtstrahlen fielen schräg durch die Baumkronen, und der Schmerz in Wynters Kopf wuchs an. Sie musste die Augen zukneifen und gegen den Würgereiz ankämpfen.
Zu ihrer Verwunderung machte Razi keinen Versuch, Christopher zu untersuchen, sich vom Ausmaß seiner Verletzungen zu überzeugen. Er kleidete ihn einfach nur an, richtete sich auf, zog wortlos sein Schwert und schlug den Weg zurück zum Gasthaus ein. Schreckstarr blickte sie ihm nach und drehte sich dann zu Christopher um. Der starrte einen Moment lang seine Füße an und taumelte dann Razi hinterher.
Razis tiefe Stimme blaffte durch die Bäume: »Wynter! Komm jetzt!«
Es blieb ihr nichts übrig, als ihm zu gehorchen und sich zurückzuschleppen.
Kurz vor der Schenke hielt Razi am Waldrand an und suchte beunruhigt die stillen Gebäude ab. Rauchfetzen wehten durch das geöffnete Scheunentor, die Küche war fest verschlossen. Es war kein Lebenszeichen zu erkennen. Hinter Razi standen Christopher und Wynter mit stumpfsinnigen Mienen und warteten darauf, dass er ihnen Anweisungen gab.
»Zieh deinen Dolch, Schwester«, sagte er leise. »Halt ihn in der Hand, wo man ihn gut sehen kann.« Als er sie besorgt musterte, gab sich Wynter alle Mühe, seinen Blick zu erwidern. »Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass du wüsstest, was du tust, ja?« Sie nickte, was sie allerdings sofort bereute; rasch presste sie sich die Finger an die Schläfen und kämpfte die Übelkeit nieder, die in ihrer Kehle aufstieg.
»Chris«, sagte Razi sanft. »Hier wird es gleich Ärger geben. Ich brauche dich.«
Christophers Augen wanderten träge zu seinem Freund.
»Kannst du mich verstehen, Chris?«
Er gab weder Antwort, noch veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Razi zog Christophers schwarzes Messer hinten aus seinem Gürtel. »Hier.« Christopher starrte die Waffe mit leerem Blick an. » Hier «, drängte Razi, klemmte sich seinen Malchus unter den Arm, nahm Christophers Hand und legte ihm den Griff des schwarzen Dolchs hinein. Christopher blinzelte kurz, dann schlossen sich seine Finger um das Messer. Razi tätschelte ihm die Schulter und ging voran zum Gasthaus.
Durch die qualmende Scheune führte er sie in die Küche. Die Männer des Wirts waren alle dort versammelt, drückten sich schweigend an die Wand, und der Gastwirt selbst saß am Kopfende des großen Tischs. Sämtliche Krüge waren zu Boden gefegt worden und in Scherben zersprungen. Als Razis langer Schatten in den Raum fiel, blickte niemand auf; alle Augen waren auf den Tisch gerichtet und auf den blassen Körper des kleinen Mädchens, der regungslos und zerstört auf dem feuchten Holz lag.
»O nein«, sagte Wynter.
Beim Klang ihrer Stimme hob der Wirt die trüben Augen und nahm sie endlich wahr.
Die ältere Tochter kauerte am Feuer, eine Decke um die nackten Schultern gezogen. Sie befand sich in einer Art Dämmerzustand. Überall hatte sie Schwellungen und Kratzer, und ihr Haar stand wie ein unordentliches Nest um ihr kreideweißes Gesicht. Sanft schaukelte sie vor und zurück und starrte in die Asche im Kamin.
Wynter hatte erwartet, dass Razi zu dem Mädchen eilen, dass er darauf bestehen würde, sie zu behandeln. Doch stattdessen
ließ er die Männer nicht aus den Augen und nahm sein Schwert in die Schlaghand. Der Blick des Wirts sank auf Razis Waffe und hob sich gefährlich funkelnd wieder.
»Wir möchten nur unsere Sachen holen und gehen«, erklärte Razi ruhig.
»Ihr wart mit ihnen zusammen.« Der Wirt erhob sich langsam.
»Wir haben es nicht getan.«
»Ihr wart mit ihnen zusammen !« Die Knüppel in Händen, stießen sich die Männer von der Wand ab.
»Wir haben versucht, sie zu retten«, krächzte Wynter. »Seht doch!«
Sie zeigte auf Christopher. Seht Euch meinen Freund an , hatte sie sagen wollen, seht doch, was sie ihm angetan haben . Doch Christopher war in Angriffsstellung gegangen, die Oberlippe gefletscht, das Gesicht eine tödliche Maske unter dem wirren Haar. Er umschloss sein Messer fester, das Licht flackerte in seinen Augen.
»Wir …«, stotterte
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