MoR 01 - Die Macht und die Liebe
einem vielsagenden Blick.
»Das eigentliche Problem, mein Freund, ist Quintus Caecilius. Er meint, er sei von unendlich edlerem Blut als jeder numidische Prinz. Ich bezweifle stark, daß irgend jemand - geschweige denn ich - ihn dazu bewegen kann, sein Verhalten zu ändern. Aber ich werde es versuchen, denn ich möchte dich frei wissen, damit du Bomilkar aufsuchen kannst. Es gibt entschieden wichtigere Dinge als Streitereien zwischen Statthaltern und Prinzen«, sagte Marius.
»Die syrische Prophetin sagt, daß die Familie Caecilius Metellus langsam, aber sicher ihrem Untergang entgegengeht«, bemerkte Nabdalsa nachdenklich.
»Die syrische Prophetin?«
»Eine Frau namens Martha«, fuhr der Numider fort. »Prinz Gauda hat sie in Karthago aufgelesen. Offenbar hat sie dort vor etlichen Jahren ein Schiffskapitän zurückgelassen, der glaubte, sie habe sein Schiff verflucht. Zuerst sind nur die Armen zu ihr gelaufen, aber jetzt ist sie sehr berühmt, und der Prinz hat sie an seinen Hof geholt. Sie hat prophezeit, daß Prinz Gauda eines Tages tatsächlich König von Numidien wird, wenn Jugurtha gestürzt ist. Aber bis zu Jugurthas Sturz werde es noch einige Zeit dauern, sagt sie.«
»Und was ist mit der Familie Caecilius Metellus?«
»Sie behauptet, die ganze Familie Caecilius Metellus habe den Höhepunkt ihrer Macht überschritten, und sowohl die Anzahl ihrer Mitglieder als auch ihr Reichtum würden schrumpfen. Andere würden in Zukunft größer sein - so auch du, Dominus .«
»Ich möchte diese syrische Prophetin sehen«, sagte Marius.
»Das läßt sich einrichten. Aber dafür mußt du nach Karthago kommen, denn sie verläßt Prinz Gaudas Haus nicht«, entgegnete Nabdalsa.
Eine Audienz bei Martha, der syrischen Prophetin, erforderte zuerst eine Audienz bei Prinz Gauda. Ergeben hörte sich Marius die Litanei der Klagen über Metellus an und gab Versprechen, von denen er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er sie halten sollte.
»Du kannst versichert sein, Hoheit, daß ich, sobald es mir möglich ist, dafür sorgen werde, daß du mit all dem Respekt und all der Ehrerbietung behandelt wirst, auf die du deiner Herkunft gemäß Anspruch hast«, sagte Marius und verbeugte sich so tief, daß er fast den Boden berührte.
»Dieser Tag wird kommen!« verkündete Gauda selbstsicher und grinste. Dabei entblößte er eine Reihe sehr schlechter Zähne. »Martha sagt, du wirst der Erste Mann in Rom sein, und es wird nicht mehr lange dauern. Aus diesem Grund, Gaius Marius, möchte ich mich unter deine Klienten einreihen, und ich werde dafür sorgen, daß meine Anhänger in der römischen Provinz Africa meinem Beispiel folgen. Mehr noch, wenn ich erst König von Numidien bin, wird ganz Numidien deine Klientel sein.«
Marius hörte zu, und sein Erstaunen wuchs mit jedem Satz. Ihm, einem einfachen Prätor, wurden Klienten angetragen, die sich ein Caecilius Metellus vergebens wünschte! Er mußte diese Martha, die syrische Prophetin, unbedingt kennenlernen!
Nur wenige Augenblicke später bot sich ihm die Gelegenheit, denn Martha hatte den Wunsch geäußert, Gaius Marius zu sehen, und Gauda hatte Marius zu ihrer Wohnung in der riesigen Villa geführt, die hin vorläufig als Palast diente. Marius wartete in Marthas Wohnzimmer. Ein rascher Blick in die Runde überzeugte ihn, daß sie tatsächlich hoch in Ehren gehalten wurde, denn die Wohnung war prachtvoll eingerichtet. Marius konnte sich nicht erinnern, schon jemals so herrliche Wandgemälde und so prachtvolle Bodenmosaike gesehen zu haben.
Martha erschien in schimmernden, purpurnen Gewändern, ein weiteres Zeichen der Ehre, denn eine Frau, die nicht von Adel war, durfte normalerweise keine Purpurgewänder tragen. Und von adeliger Herkunft war sie ganz gewiß nicht. Sie war eine kleine, verschrumpelte, magere alte Frau, die nach abgestandenem Urin stank und deren Haare vor Dreck starrend vom Kopf abstanden, als wären sie jahrelang nicht gewaschen worden. Sie sah fremd aus mit ihrer großen, gebogenen, schmalen Nase in dem Gesicht mit den tausend Fältchen und ihren schwarzen Augen, die so scharf und stolz und wachsam blickten wie die Augen eines Adlers. Ihre herabhängenden Brüste erinnerten an zwei leere Socken, die an der Spitze mit Kieseln gefüllt sind, und baumelten sichtbar unter dem dünnen Hemd aus tyrischem Purpur, das ihr knapp bis zur Taille reichte. Um die Hüften hatte sie einen Purpurschal geschlungen. Ihre Hände und Füße waren mit Henna tief dunkelrot
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