MoR 01 - Die Macht und die Liebe
längst nicht so viele Jahre leben. Aber er wird noch am Leben sein, wenn deine Zeit kommt.«
Bei diesen Worten stieß sie seine Hand abrupt weg und zog ihre schmutzigen nackten Füße mit unzähligen Glöckchen an den Zehen und Fußreifen an den Fesseln unter sich auf das Sofa.
»Ich habe alles gesehen, was zu sehen ist, Gaius Marius«, sagte sie, lehnte sich zurück und schloß die Augen.
»Ich danke dir, Prophetin Martha.« Marius stand auf und zog seine Geldbörse hervor. »Wieviel...?«
Sie öffnete die Augen, die in tiefem Schwarz funkelten und boshaft lebendig waren. »Von dir verlange ich nichts. Es ist Lohn genug, die Gesellschaft der wahrhaft Großen zu genießen. Geld ist etwas für Leute wie Prinz Gauda, der nie ein großer Mann sein wird, obwohl er König werden wird.« Wieder erfüllte ihr meckerndes Lachen den Raum. »Aber das weißt du so gewiß wie ich, Gaius Marius, auch wenn du nicht die Gabe besitzt, in die Zukunft zu sehen. Du hast die Gabe, in die Herzen der Menschen zu sehen, und Prinz Gauda hat ein enges Herz.«
»Dann muß ich dir noch einmal danken.«
»Oh, ich möchte dich noch um einen Gefallen bitten«, rief sie ihm nach, als er schon fast an der Tür war.
Er drehte sich sofort um. »Ja?«
»Wenn du zum zweitenmal Konsul bist, Gaius Marius, dann hole mich nach Rom und behandle mich ehrenvoll. Ich möchte einmal Rom sehen, bevor ich sterbe.«
»Du sollst Rom sehen«, versprach er und ging.
Siebenmal Konsul! Der Erste Mann in Rom! Der Dritte Gründer Roms! Welche Zukunft konnte größer sein als diese? Wie sollte ein anderer Römer da noch größer sein als er? Gaius... Sie mußte den Sohn seines jüngeren Schwagers meinen, einen zukünftigen Gaius Julius Caesar. Ja, dessen Sohn wäre Julias Neffe - und gewiß der einzige, der Gaius heißen würde.
»Nur über meine Leiche«, sagte Gaius Marius laut, stieg auf sein Pferd und ritt nach Utika zurück.
Am nächsten Tag suchte Marius Metellus auf. Er fand den Konsul in ein Bündel Briefe und Dokumente aus Rom vertieft, denn in der Nacht war ein Schiff angekommen, das lange von stürmischer See aufgehalten worden war.
»Großartige Nachrichten, Gaius Marius« sagte Metellus, und er war ausnahmsweise einmal freundlich. »Mein Kommando in Africa ist verlängert, mit prokonsularischem imperium , und alles spricht dafür, daß ich eine weitere Verlängerung bekommen kann, wenn ich noch mehr Zeit brauche.« Ein Blatt Papier wurde weggelegt, eine Schriftrolle zur Hand genommen, beides nur, um Eindruck zu machen, denn Metellus hatte die Briefe offensichtlich schon gelesen, ehe Marius gekommen war. Niemand überflog einfach schweigend und mit blitzartigem Verständnis Wörter auf dem Papier - man mußte sie einzeln entziffern und laut lesen, damit ihr Sinn klar wurde.
»Es ist ein Glück, daß mein Heer vollzählig ist, denn es sieht so aus, als sei der übliche Mangel an Männern in Italien schlimmer geworden, wegen Silanus’ Blamage in Gallien. Aber davon weißt du noch gar nichts, oder doch? Ja, mein Mitkonsul wurde von den Germanen besiegt. Unerhört hohe Verluste.« Metellus griff nach einer weiteren Rolle und hielt sie hoch. »Silanus schreibt, daß über eine Million germanische Riesen auf dem Schlachtfeld waren.« Er legte die Rolle wieder weg und wedelte mit der, die er noch in der Hand hatte, vor Marius’ Nase hin und her. »Hier teilt mir der Senat mit, daß er die lex Sempronia von Gaius Gracchus aufgehoben hat, die verbot, einen Mann zu beliebig vielen Feldzügen einzuberufen. Höchste Zeit! Wir können Tausende von Veteranen einziehen, falls wir sie einmal brauchen.« Metellus war sichtlich erfreut.
»Das ist ein sehr schlechter Gesetzesentscheid«, sagte Marius. »Wenn sich ein Veteran nach zehn Jahren oder sechs vollständigen Feldzügen zur Ruhe setzen möchte, dann sollte er dies ohne Furcht vor neuerlichen Waffendiensten tun dürfen. Wir untergraben den Stand der Kleinbauern, Quintus Caecilius! Wie kann ein Mann seinen kleinen Hof für nunmehr bis zu zwanzig Jahren Heeresdienst verlassen und damit rechnen, daß er in seiner Abwesenheit dennoch gedeiht? Wie kann er Söhne zeugen, die einmal seinen Platz einnehmen sollen, sowohl auf seinem kleinen Hof als auch in unseren Legionen? Es ist immer mehr die Pflicht der kinderlosen Frauen geworden, das Land zu bestellen, und Frauen sind nicht kräftig, nicht umsichtig genug, einfach nicht geeignet dafür. Wir sollten anderswo nach Soldaten Ausschau halten - und wir sollten
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