MoR 01 - Die Macht und die Liebe
zu organisieren. Aber die Wahlen der riesigen Zenturienversammlung bedeuteten einen enormen Aufwand, denn die Hundertschaften mußten sich entsprechend den fünf Vermögensklassen aufstellen, denen sie zugeteilt waren.
Als die Stimme einer jeden Hundertschaft abgerufen wurde, angefangen bei der ersten Hundertschaft der Ersten Klasse, zeichnete sich bald ein Muster ab. Lucius Cassius Longinus war die erste Wahl einer jeden Hundertschaft, aber für den zweiten Konsul gab es ganz unterschiedliche Nennungen. Die Erste und die Zweite Klasse stimmten so einhellig für Lucius Cassius Longinus, daß er an die vorderste Stelle gesetzt wurde. Lucius Cassius Longinus war damit zum ersten Konsul gewählt, und im Monat Januar würden ihm die fasces vorangetragen werden. Der Name des zweiten Konsuls blieb unbestimmt bis beinahe ans Ende der Dritten Klasse, so dicht lagen Gaius Marius und Quintus Lutatius Catulus Caesar beieinander.
Und dann fiel die Entscheidung. Gaius Marius setzte sich als zweiter Konsul durch. Die Sippe Caecilius Metellus konnte zwar die Abstimmung der Zenturien noch beeinflussen - aber es reichte nicht mehr, den Sieg Gaius Marius’ zu verhindern. Die Wahl war ein großer Triumph für ihn, den italischen Bauern ohne Griechischkenntnisse. Er war ein echter homo novus , der erste in seiner Familie, der im Senat saß, der erste in seiner Familie, der seinen Wohnsitz nach Rom verlegt hatte, der erste in seiner Familie, der ein riesiges Vermögen erworben hatte, der erste in seiner Familie, der sich beim Heer ausgezeichnet hatte. Und nun der erste in seiner Familie, der Konsul wurde.
Spät am Nachmittag des Wahltages gab Gaius Julius Caesar ein Festessen im engsten Familienkreis. Bis dahin hatte er Marius nur einmal auf dem Forum kurz die Hand gedrückt und ein weiteres Mal auf dem Marsfeld seine Hand geschüttelt, als sich die Zenturien aufgestellt hatten, so hektisch war Marius’ Wahlkampf während der letzten fünf Tage gewesen.
»Du hast unglaubliches Glück gehabt«, sagte Caesar, als er seinen Ehrengast ins Speisezimmer führte. Seine Tochter Julia holte inzwischen ihre Mutter und ihre jüngere Schwester.
»Ich weiß«, sagte Marius.
»Wir Männer sind heute nicht eben zahlreich vertreten, da meine beiden Söhne noch in Africa sind. Aber ich habe einen weiteren Mann als moralische Stütze eingeladen, so können wir es mit den Frauen aufnehmen.«
»Ich habe Briefe von Sextus und Gaius Julius mit Nachrichten von ihren Heldentaten«, sagte Marius, als sie sich bequem auf dem Sofa niederließen.
»Das reicht auch noch später.«
Der angekündigte dritte männliche Gast betrat das Speisezimmer, und Marius fuhr überrascht hoch, denn er erkannte einen jungen, aber reif wirkenden Mann wieder, der ihm schon vor beinahe drei Jahren unter den Rittern aufgefallen war. Dieses Gesicht, diese Haare - wie hätte er das vergessen können?
»Gaius Marius«, sagte Caesar mit kaum merklich gezwungenem Tonfall, »Ich möchte dir Lucius Cornelius Sulla vorstellen, der nicht nur unser Nachbar ist, sondern auch mein Mitsenator, und der bald mein zweiter Schwiegersohn sein wird.«
»Donnerwetter!« rief Marius und drückte Sulla sehr herzlich die Hand. »Du bist ein Glückspilz, Lucius Cornelius.«
»Das weiß ich gut«, erwiderte Sulla bewegt.
Caesar hatte beschlossen, bei der Tischordnung ein wenig von der Konvention abzuweichen. Die Liege am oberen Ende hatte er sich und Marius vorbehalten und die zweite Liege für Sulla bestimmt. Das war nicht als Beleidigung gedacht, wie er ausdrücklich erklärte, sondern sollte die Gruppe ein wenig größer erscheinen lassen und allen mehr Platz bieten.
Wie interessant, dachte Marius und runzelte innerlich die Stirn. Ich habe bisher noch nie erlebt, daß Gaius Julius Caesar sich rechtfertigt. Aber dieser verteufelt hübsche Bursche bringt ihn irgendwie aus der Fassung, aus dem Gleichgewicht...
Dann kamen die Frauen herein, setzten sich auf Stühlen mit geraden Lehnen den Männern gegenüber, und das Festmahl konnte beginnen.
Marius gab sich große Mühe, nicht das Bild eines älteren Ehemanns abzugeben, der seine Frau anbetet, aber seine Augen wanderten unwillkürlich immer wieder zu Julia hin, die in seiner Abwesenheit zu einer blühenden jungen Ehefrau gereift war, anmutig, ihrer neuen Verantwortung vollkommen gewachsen, eine hervorragende Mutter und Hausherrin - und die ideale Gattin. Während Julilla keineswegs gereift ist, dachte Marius. Natürlich hatte er sie in den
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