MoR 01 - Die Macht und die Liebe
schlimmsten Zeiten ihrer Krankheit nicht gesehen, und nun war sie bereits seit einiger Zeit wieder genesen. Aber etwas war zurückgeblieben, was Marius nur als armselige Haltung dem Leben gegenüber bezeichnen konnte: Sie war armselig von Gestalt, arm an Intellekt, arm an Erfahrung und unzufrieden mit sich und ihrem Leben. Sie redete fieberhaft, bewegte sich fahrig, zuckte erschreckt zusammen und konnte nicht still auf ihrem Stuhl sitzen. Und ständig zog sie die Aufmerksamkeit ihres künftigen Gatten auf sich, so daß dieser häufig vom Gespräch zwischen Marius und Caesar ausgeschlossen war.
Er ertrug es mit Fassung, wie Marius feststellte, und schien Julilla wirklich gern zu haben. Ohne Zweifel faszinierte es ihn, daß er so ganz im Mittelpunkt ihrer Gefühle stand. Aber dieser Reiz würde nicht mehr als die ersten sechs Monate ihrer Ehe überdauern, dachte der nüchterne Marius. Nicht wenn Lucius Cornelius Sulla der Bräutigam war. Er sah wahrlich nicht so aus, als hätte er eine ausgeprägte Vorliebe für weibliche Gesellschaft oder eine besondere Neigung, ein treuergebener Gatte zu werden.
Nach dem Essen erklärte Caesar, daß er sich unter vier Augen in seinem Arbeitszimmer mit Gaius Marius unterhalten wolle. »Bleibt hier, wenn ihr möchtet, oder tut, was immer ihr zu tun habt«, sagte er ruhig. »Gaius Marius und ich haben uns viel zu lange nicht gesehen.«
»In deinem Haus hat es Veränderungen gegeben, Gaius Julius«, sagte Marius, als die beiden Männer es sich im tablinum gemütlich gemacht hatten.
»Ja, in der Tat - das ist auch der Hauptgrund dafür, daß ich unverzüglich mit dir allein sprechen wollte.«
»Nun, ich werde am nächsten Neujahrstag Konsul, und damit nimmt mein Leben eine höchst erfreuliche Wendung«, sagte Marius lächelnd. »All das habe ich dir zu verdanken - und nicht zuletzt habe ich dir das Glück einer wunderbaren Ehefrau zu verdanken, einer vollkommenen Gefährtin für meinen Lebensweg. Ich habe ihr seit meiner Rückkehr wenig Zeit widmen können, aber jetzt, nach meiner Wahl, will ich das wiedergutmachen. In drei Tagen fahre ich mit Julia und meinem Sohn nach Baiae, und wir werden die ganze Welt für einen Monat vergessen.«
»Es freut mich mehr, als du dir vorstellen kannst, daß du mit soviel Liebe und Respekt von meiner Tochter sprichst.«
Marius lehnte sich ein wenig bequemer in seinen Stuhl zurück. »Gut. Nun zu Lucius Cornelius Sulla. Ich erinnere mich an ein paar Bemerkungen von dir über einen Patrizier, der nicht das Geld habe, so zu leben, wie es ihm von Geburt aus zustehe, und der Name, den du nanntest, war der Name deines zukünftigen Schwiegersohnes. Was ist geschehen, daß sich die Verhältnisse gewandelt haben?«
»Nach seiner Darstellung hat er einfach Glück gehabt. Er sagt, wenn sein Leben so weitergehe, wie es seit der Begegnung mit Julilla verlaufen sei, dann werde er einen zweiten Beinamen an den Beinamen anhängen müssen, den er von seinem Vater geerbt hat. Felix. Der Vater, ein Säufer und Verschwender, heiratete vor mehr als fünfzehn Jahren die reiche Clitumna und starb bald darauf. Lucius Cornelius begegnete Julilla am Neujahrstag vor jetzt beinahe drei Jahren, und sie gab ihm einen Graskranz, ohne zu wissen, was das bedeutete. Er behauptet, daß sein Leben von jenem Augenblick an eine glückliche Wendung genommen habe. Zuerst starb Clitumnas Neffe, der ihr Erbe war. Dann starb eine Frau namens Nikopolis und hinterließ Lucius Cornelius ein kleines Vermögen - soweit ich weiß, war sie seine Geliebte. Und nur wenige Monate später beging Clitumna Selbstmord. Da sie keine Blutsverwandten hatte, denen sie etwas vererben konnte, vermachte sie ihr gesamtes Vermögen - das Haus nebenan, ein Landhaus in Circei und ungefähr zehn Millionen Denare - Lucius Cornelius.«
Ihr Götter, er hat den Beinamen Felix wirklich verdient«, sagte Marius trocken. »Bist du in dieser Sache naiv, Gaius Julius, oder hast du dich zufriedenstellend vergewissert, daß Lucius Cornelius Sulla keinem der Toten in Charons Fähre über den Styx hineingeholfen hat?«
Caesar hob bei dieser spöttischen Bemerkung abwehrend die Hand, aber er lächelte. »Nein, Gaius Marius, du kannst dich darauf verlassen, daß ich nicht naiv war. Ich kann Lucius Cornelius mit keinem der drei Todesfälle in Verbindung bringen. Der Neffe starb nach einer langen Magen- und Darmkrankheit, die freigelassene griechische Sklavin starb an akutem Nierenversagen - innerhalb von ein oder zwei Tagen, das
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