MoR 01 - Die Macht und die Liebe
sich scheinbar endlos dahinzog. Jede Legion nahm einschließlich der Maultierkarren und schweren Waffen etwa eine Meile in Anspruch, und Marius führte insgesamt sechs Legionen sowie seine Kavallerie nach Westen. Die Kavallerie ließ er allerdings auf gleicher Höhe mit den Fußsoldaten reiten, so daß sein Zug ungefähr sechs Meilen lang war.
Auf offenem Land bestand keine Gefahr, denn kein Feind konnte sich unbemerkt so verteilen, daß er alle Teile des Zuges gleichzeitig angreifen konnte. Sollte dennoch ein Überraschungsangriff auf eine Stelle des Zuges erfolgen, konnten alle anderen Abteilungen zum Gegenangriff übergehen und den Feind umzingeln, und dabei nahmen sie automatisch die richtige Kampfformation ein.
Trotzdem wurde jeden Abend ein befestigtes Lager errichtet. Die Soldaten mußten eine Fläche abmessen und abstecken, die groß genug war, um sämtliche Menschen und Tiere der Armee unterzubringen, sie mußten tiefe Löcher ausheben und die gespitzten Pfähle, stimuli genannt, in den Boden rammen, sie mußten Erdwälle und Palisaden errichten. Dann aber konnten alle außer den Wachposten in der sicheren Gewißheit schlafen, daß kein Feind unbemerkt in das Lager eindringen konnte.
Die Männer dieser Armee, die zum erstenmal ausschließlich aus Besitzlosen rekrutiert war, bezeichneten sich selbst als die »Maultiere des Marius«, weil Marius sie wie Maultiere beladen hatte. In den herkömmlichen Armeen, die aus Besitzenden bestanden, hatte selbst der einfachste Soldat ein Maultier, einen Esel oder zumindest einen Sklaven, der Gepäck trug, und wer sich das nicht leisten konnte, mietete sich bei den anderen ein. Niemand wußte, wie viele Wagen und Karren zur Verfügung standen - die meisten waren in Privatbesitz -, und eine herkömmliche römische Armee kam dadurch wesentlich langsamer und schwerfälliger voran als Marius’ africanische Plebejerarmee - und die vielen Armeen, die in den darauffolgenden sechs Jahrhunderten ähnlich zusammengesetzt waren.
Wie ein riesiges, aus menschlichen Leibern zusammengesetztes Ungetüm walzte sich der sechs Meilen lange Zug unaufhaltsam in den westlichen Teil Numidiens. Um das Tempo zu halten, aber auch aus einem Gefühl von Kameradschaft und Nähe sangen die Soldaten unaufhörlich und aus vollem Halse Marschlieder. Der Einklang der Stimmen und Füße schweißte die Männer zusammen, und in der Mitte des Zuges marschierten der Feldherr Marius und sein Stab und sangen mit. Ihre Ausrüstung wurde von Maultieren gezogen, aber auch sie gingen zu Fuß, denn Reiten wäre nicht nur unbequemer, sondern vor allem auffälliger gewesen. Allerdings hatten sie ihre Reittiere ganz in der Nähe, damit sie bei einem Angriff die Lage sofort überblicken und den Truppen schneller Befehle erteilen konnten.
»Jede Stadt, jedes Dorf, jede Siedlung wird niedergemacht«, beschloß Marius, an Sulla gewandt.
Dieser Plan wurde umgehend ausgeführt, und mehr als das: Aus Getreidespeichern und Räucherhäusern ergänzten die Soldaten ihre Lebensmittelvorräte, Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, denn die Soldaten vermißten ihre Ehefrauen, und Geschlechtsverkehr zwischen Männern wurde mit dem Tode bestraft. Aber vor allem hielten die Soldaten die Augen nach Beute offen, obwohl private Bereicherung eigentlich verboten war und alle Beute in den Besitz der Armee überging.
Nach jeweils acht Tagen wurde eine Pause eingelegt, und wenn es sich ergab, daß die Marschroute an der Küste entlang führte, durften die Soldaten drei Tage ausruhen, schwimmen, fischen und sich satt essen. Ende Mal waren sie schon westlich von Cirta, Ende des Quintilis hatten sie den sechshundert Meilen weiter westlich gelegenen Fluß Mulucha erreicht.
Bis jetzt war es ein leichter Feldzug gewesen, keine Spur von Jugurthas Soldaten, kein Widerstand in den numidischen Siedlungen, und die Römer hatten noch reichlich Lebensmittel und Trinkwasser. Die karge Armeekost, bestehend aus Zwieback, Erbsenbrei, gepökeltem Speck und Käse, war mit Ziegenfleisch, Fisch, Kalb, Hammel, Obst und Gemüse angereichert worden und hatte alle bei Laune gehalten. Neben dem üblichen sauren Wein erwiesen sich das Gerstenbier der Berber und die guten Weine aus manchen Regionen als willkommene Abwechslung.
Der Mulucha bildete die natürliche Grenze zwischen dem westlichen Teil Numidiens und dem östlichen Teil von Mauretanien. Im Winter war er ein reißender Strom, im Sommer ein dünnes Rinnsal mit gelegentlichen Wasserlöchern, im
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