MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Sicherheit angreifen.«
»Fürchtest du nicht, daß er uns zusammen mit Bocchus überlegen sein könnte?«
»Nein! Sechs gut trainierte und gut geführte römische Legionen werden mit jedem Feind fertig, egal wie stark er ist.«
»Aber Jugurtha hat das Kriegshandwerk bei Scipio Aemilianus in Numantia gelernt«, erwiderte Sulla. »Er wird kämpfen wie ein Römer.«
»Es gibt auch noch andere Könige, die die römische Kriegführung beherrschen«, sagte Marius, »aber sie haben keine römischen Truppen, darauf kommt es an. Unsere Art der Kriegführung wurde entsprechend dem Charakter unseres Volkes entwickelt, und ich mache da keinen Unterschied zwischen Römern, Latinern und Italikern.«
»Disziplin«, sagte Sulla.
»Organisation«, ergänzte Marius.
»Nur - weder Disziplin noch Organisation bringen unsere Truppen auf diesen Berg hinauf«, stellte Sulla fest.
Marius lachte. »Das ist wahr! Aber es gibt trotzdem immer eine Unbekannte, Lucius Cornelius.«
»Und die wäre?«
»Glück«, sagte Marius. »Vergiß niemals, daß auch Glück eine Rolle spielt.«
Sulla und Marius waren inzwischen gute Freunde geworden. Natürlich gab es zwischen ihnen manche Meinungsverschiedenheiten, aber in grundlegenden Dingen waren sie sich sehr ähnlich. Sie waren beide Pragmatiker, hatten sich beide gegen Widerstände nach oben gekämpft, beide konnten sehr kühl abwägen und auch sehr leidenschaftlich sein. Die auffallendste Gemeinsamkeit aber war die Liebe zu ihrer Arbeit, die sie mit Freude und Gewissenhaftigkeit verrichteten. In den Anfangsjahren der Freundschaft schlummerten jene Seiten ihrer Persönlichkeiten noch, die sie hätten entzweien können. Sulla, der jüngere, konnte und wollte nicht zu Marius, dem Älteren, in Konkurrenz treten, und weder Sullas Hang zur Rücksichtslosigkeit noch Marius’ Neigung zum Sturm auf alles Althergebrachte traten in diesen Jahren bereits in Erscheinung.
»Jene Männer setzen sich durch«, sagte Sulla und streckte sich, »die glauben, daß jeder sein Glück selbst in der Hand hat.«
Marius sah ihn mit großen Augen an, und dabei schnellten seine Augenbrauen nach oben. »Aber sicher! Und es ist doch recht angenehm zu wissen, daß man das Glück auf seiner Seite hat.«
Publius Vagiennius, der aus dem ligurischen Hinterland stammte und in einer Hilfsschwadron der Kavallerie diente, hatte nach der Errichtung des Lagers am Ufer des Mulucha sehr viel mehr Arbeit, als ihm lieb war. Auf der Ebene wuchs zum Glück das für diese Gegend typische lange, dichte Gras, das sich im Sommer silbern verfärbte, und so hatten die vielen Maultiere mehr als genug zu fressen. Die Pferde jedoch waren anspruchsvoller und knabberten nur lustlos an dem harten, strohigen Gras, bis man sie schließlich weiter in die Ebene hineinführte, wo nördlich des Zitadellenberges der Boden feuchter war und zarteres Gras wuchs.
Jeder andere Feldherr als Marius hätte erlaubt, daß die ganze Kavallerie ein eigenes Lager in der Nähe der Pferdeweiden aufschlug, dachte Publius Vagiennius verärgert. Aber nein. Gaius Marius wollte den Bewohnern der Zitadelle keinerlei Angriffspunkte bieten, und so hatte er allen befohlen, im Hauptlager zu bleiben, ausnahmslos. Die Kundschafter mußten sich jeden Morgen zuerst versichern, daß kein Feind in der Nähe lauerte, dann erst durften die Kavalleristen ihre Pferde auf die Weide führen, und abends mußten sie wieder ins Lager zurückgebracht werden. Das bedeutete auch, daß man die Pferde anpflocken mußte, denn es wäre zu aufwendig gewesen, sie jeden Abend wieder einzufangen.
Jeden Morgen mußte Publius Vagiennius eines seiner beiden Reittiere besteigen und, das andere Pferd an der Leine, über die Ebene bis zu dem guten Grasland reiten, dort die Pferde so anpflocken, daß sie den Tag über genug zu fressen hatten, und dann die fünf Meilen zum Lager zu Fuß zurückgehen. Und kaum hatte nach einem langen Arbeitstag seine freie Zeit begonnen - so schien es ihm wenigstens -, mußte er sich wieder auf den Weg machen und die Pferde losbinden. Doch ein Kavallerist war einfach nicht zum Gehen geboren.
Da er schwerlich etwas dagegen einwenden konnte, daß er zu Fuß zum Lager zurückgehen mußte, nachdem er die Pferde auf die Weide gebracht hatte, paßte Publius Vagiennius seinen Tagesablauf schließlich seiner neuen Arbeit an. Morgens, wenn er ohne Sattel und Zaumzeug hinausritt - nur ein Narr würde den wertvollen Sattel und das Zaumzeug den ganzen Tag unbewacht im Freien lassen -,
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