Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
nahm er jetzt immer einen Wassersack und einen Proviantbeutel mit, den er am Gürtel befestigte. Sobald er dann seine Pferde am Fuß des Zitadellenberges angepflockt hatte, suchte er sich ein schattiges Plätzchen und döste den Rest des Tages vor sich hin.
    Als er das vierte Mal auf diese Weise unterwegs war, ließ er sich mit Wassersack und Proviantbeutel in einer blütenduftenden, von hohen Felsen eingeschlossenen Kuhle nieder, lehnte sich an einen bemoosten Felsvorsprung und nickte ein. Ein zarter Windstoß wehte über die Spalten und Erker des felsigen Berges hin und trug einen merkwürdig feuchten, strengen Geruch ins Tal hinab, einen Geruch, der Publius Vagiennius so in Aufregung versetzte, daß er mit einem Satz auf den Füßen war. Er kannte diesen Geruch gut. Schnecken. Große, fette, saftige, fleischige Schnecken!
    In den ligurischen Seealpen und den dahinterliegenden hohen Alpen, der Heimat von Publius Vagiennius, gab es viele Schnecken, er war sozusagen mit Schnecken aufgewachsen. Wegen seiner Vorliebe für diese schmackhaften Tiere war es regelrecht zu einer Sucht geworden, jedes Essen mit Knoblauch zu würzen. Es gab wohl kaum jemanden, der sich besser mit Schnecken auskannte als Publius Vagiennius. Er träumte davon, eines Tages Schnecken zu züchten und zu verkaufen, ja vielleicht würde es ihm sogar gelingen, eine ganz neue Sorte zu züchten. Manche Menschen hatten eine Nase für Weine, andere eine Nase für Parfüms, und Publius Vagiennius hatte eben eine Nase für Schnecken. Der zarte Duft, den der Wind vom Zitadellenberg zu ihm heruntergeweht hatte, sagte ihm, daß irgendwo dort oben Schnecken von unvergleichlicher Köstlichkeit zu finden waren.
    Er machte sich mit dem Eifer eines Trüffelschweines auf die Suche und folgte den Signalen seiner Nase, dabei kletterte er über Stock und Stein immer weiter nach oben. Seit er im September des letzten Jahres mit Lucius Cornelius Sulla nach Africa gekommen war, hatte er keine Schnecken mehr gegessen. Die africanischen Schnecken waren angeblich die besten auf der ganzen Welt, aber er hatte noch keine zu sehen bekommen. Die wenigen Tiere, die auf den Märkten von Utika und Cirta angeboten wurden, wanderten auf direktem Weg auf die Tische der Militärtribunen und Legaten oder wurden gleich nach Rom verschickt.
    Ein weniger aufmerksamer Beobachter hätte bestimmt nicht die uralte Fumarole entdeckt, die schon lange keine Vulkandämpfe mehr ausstieß, denn sie lag hinter einer scheinbar unversehrten Basaltwand aus säulenartigen Kristallen verborgen. Mit der Nase am Boden schnüffelte sich Publius Vagiennius um die massiv wirkende Felswand herum und stieß auf einen riesigen Kamin. In Millionen von Jahren, seitdem der Vulkan nicht mehr aktiv war, war der Vulkanspalt mit Staub zugeweht worden. Auf der im Windschatten gelegenen Seite des Spalts war die Staubschicht zu einer hohen Wand angewachsen, aber es war noch immer möglich, sich zu dieser natürlichen Höhlung Zutritt zu verschaffen. Sie maß ungefähr zwanzig Fuß im Durchmesser, und in einer Höhe von vielleicht zweihundert Fuß konnte man ein Fleckchen Himmel erkennen. Die Wände ragten steil nach oben und schienen auf den ersten Blick unbezwingbar, doch für Publius Vagiennius, einen Mann der Berge und Schneckenkenner auf der Suche nach dem unübertroffenen Genuß, waren sie kein Hindernis. Er bezwang die Fumarole und kletterte höher hinauf, nicht ohne Mühe, aber niemals in Gefahr abzustürzen.
    Oben kam er auf einen grasbewachsenen Felsvorsprung, der vielleicht einhundert Fuß lang und fünfzig Fuß breit war. Hier war der Kamin zu Ende. Er befand sich auf der Nordseite des zerklüfteten Vulkanberges, dort, wo das Lavagestein größtenteils ausgewaschen war - die äußeren Erdschichten des Berges waren seit Äonen verschwunden - und dem Sickerwasser freien Lauf ließ. Der Felsvorsprung war dadurch ständig feucht, das Wasser tropfte sogar über den Rand der Fumarole, das meiste aber lief durch eine Rinne nach außen über die Felsen. Einige hundert Fuß weiter oben ragte ein mächtiger Felsbrocken nach vorne und überdachte den Vorsprung weitgehend. Die Felswand zwischen dem Vorsprung und dem Felsbrocken bildete eine nach vorne offene Höhle, an der das Sickerwasser herabtropfte, ein Paradies für Farne, Moose, Leberblümchen und Riedgras. An einer Stelle schien der darüberliegende Berg so mächtig auf den Fels zu drücken, daß sich sogar ein kleines Rinnsal gebildet hatte, das munter seinen Weg

Weitere Kostenlose Bücher