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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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durch die Höhle suchte und mit dem Sickerwasser zusammen über den Felsvorsprung troff. Dies war offensichtlich der Grund, warum das Gras auf der Nordseite des zerklüfteten Vulkans so viel zarter war.
    Dort, wo jetzt die offene Höhle gähnte, hatten sich früher Schlammablagerungen befunden, die tief in die Lavaschicht eingedrungen waren und das Wasser gebunden hatten. Sobald sie an die Oberfläche getreten waren, hatten Wind und Wetter sie gierig weggefressen. Der Bergkenner Publius Vagiennius wußte, daß der riesige Basaltbrocken, der so gefährlich vornüber ragte, eines Tages so tief unterspült sein würde, daß er herunterbrechen und den Felsvorsprung, die Höhle und den alten Vulkanschlot unter sich begraben würde.
    Die große Höhle war der ideale Lebensraum für Schnecken, sie war ständig feucht, eine Oase in dem sonst so trockenen Land. Verrottete Pflanzen und winzige tote Insekten - Delikatessen für die Schnecken - gab es reichlich. Außerdem war der Platz schattig und durch einen von unten über ein Drittel der Länge aufragenden, nach außen sich neigenden Fels vor Winden geschützt.
    Der ganze Ort roch durchdringend nach Schnecken, aber diese Sorte kam Publius Vagiennius’ Nase völlig unbekannt vor. Als er endlich eine Schnecke entdeckte, war er sprachlos vor Erstaunen. Das Schneckenhaus war so groß wie die Innenfläche seiner Hand! Jetzt sah er, daß es von Schnecken nur so wimmelte, Dutzende, Hunderte krochen herum. Kein Schneckenhaus war kleiner als sein Zeigefinger, manche größer als die ausgestreckte Hand. Er traute seinen Augen kaum, kletterte in die Höhle hinein und sah sich mit wachsender Verwunderung um. An der rückwärtigen Wand entdeckte er einen steil nach oben führenden Gang. Kein Gang für Schnecken, dachte er vergnügt, eher ein Gang für Schlangen!
    Der Gang führte in eine Felsspalte und von da in eine kleinere, abgeschlossene Höhle, in der viele Farne wuchsen. Hier gab es sogar noch mehr Schnecken. Und dann gelangte er auf die andere Seite des überhängenden Felsens und sah, daß dieser auch mindestens hundert Fuß breit war. Er kletterte weiter, zog sich hoch und kam von den himmlischen Gefilden in den Tartarus der Schnecken, in die trockene, windgegerbte Lavaschicht auf der Oberfläche des Felsüberhangs. Heftig atmend und voller Angst duckte er sich schnell hinter einen Stein, denn kaum fünfhundert Fuß über ihm ragte die Festung auf. Den Abhang konnte man mühelos bezwingen, und die Außenmauer der Zitadelle war so niedrig, daß er sich ohne fremde Hilfe hätte hinaufziehen können. Publius Vagiennius stieg wieder in den Schlangengang hinab, ließ sich in die Höhle hinunter und sammelte ein halbes Dutzend Schnecken ein, und steckte sie, jede einzelne sorgfältig in feuchte Blätter gewickelt, in die weiten Falten seiner Tunika. Dann begann er mit dem gefährlichen Teil des Abstiegs. Seine kostbare Fracht war ihm dabei hinderlich, spornte ihn jedoch zugleich zu einer geradezu übermenschlichen Kletterpartie an. Schließlich stand er wieder wohlbehalten in seinem kleinen, blühenden Tal.
    Er nahm einen tiefen Schluck Wasser und fühlte sich gleich besser, seinen hübschen, schleimigen Schnecken war nichts passiert. Er hatte nicht die Absicht, sie mit jemandem zu teilen, deshalb verstaute er sie zusammen mit den feuchten Blättern und ein wenig Erde, die er mit Wasser aus seinem Sack getränkt hatte, im Proviantbeutel. Den Beutel verschnürte er sorgfältig, damit die Schnecken nicht herauskriechen konnten, und dann streckte er sich an einem schattigen Platz aus.
    Am nächsten Tag speiste er königlich. Er hatte einen Topf mitgebracht, garte darin zwei seiner Schnecken und verspeiste sie mit einer köstlichen Soße aus Öl und Knoblauch. Was für ein Genuß! Große Schnecken mußten nicht unbedingt zäh sein, im Gegenteil, sie waren besonders ausgeprägt im Geschmack und brauchten kaum gewürzt zu werden.
    Sechs Tage lang bereitete sich Publius Vagiennius täglich zwei Schnecken zu, noch einmal kletterte er zur Fumarole hoch und holte sich ein weiteres halbes Dutzend. Am siebten Tag begann ihn das Gewissen zu plagen. Hätte er die Gabe der Selbstbeobachtung besessen, dann hätte er feststellen können, daß seine Gewissensbisse im gleichen Maße zunahmen wie seine durch den Schneckengenuß hervorgerufenen Verdauungsstörungen. Zunächst dachte er nur, was für ein egoistischer mentula er doch war - da saß er hier und aß die Schnecken ganz allein, obwohl er doch

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