MoR 01 - Die Macht und die Liebe
unter seinen Kameraden so viele gute Freunde hatte. Und dann ging ihm auf, daß er einen Weg gefunden hatte, wie man auf den Berg gelangen konnte.
Noch drei Tage lang rang er mit sich und seinem Gewissen, dann befiel ihn eine so schreckliche Übelkeit, daß ihm der Appetit auf Schnecken gründlich verging und er sich wünschte, er hätte nie auch nur von Schnecken gehört. Da endlich faßte er einen Entschluß.
Er machte sich nicht die Mühe, sich erst beim Führer seiner Einheit zu melden, sondern ging direkt zum Feldherrn.
Ungefähr in der Mitte des Lagers, wo die via praetoria vom Vorder- zum Hintereingang des Lagers sich mit der via principalis kreuzte, die die beiden Seiteneingänge verband, stand das Feldherrenzelt mit dem Fahnenmast und einem Versammlungsplatz zu beiden Seiten. Hier, in diesem aus Weidengeflecht zusammengehaltenen Bau, der sich durchaus mit einem Holzhaus messen konnte, befanden sich Gaius Marius’ Hauptquartier und seine Privaträume. Im Schatten einer langen, über den Haupteingang gespannten Zeltplane standen ein Tisch und ein Stuhl für den diensthabenden Militärtribunen, der alle, die den Feldherrn zu sprechen wünschten, überprüfte und die zahlreichen Anfragen an die zuständigen Stellen weiterleitete. Zu beiden Seiten des Eingangs hielten Posten in lockerer Haltung, aber sehr aufmerksam Wache. Sie wurden für die Eintönigkeit ihres Dienstes dadurch entschädigt, daß sie die Gespräche zwischen dem diensthabenden Militärtribunen und den Vorsprechenden mit anhören konnten.
An diesem Tag hatte Quintus Sertorius Dienst, und ihm machte die Arbeit außerordentlich Spaß. Es gefiel ihm, die Versorgungsprobleme, Diziplinarfälle, Moralfragen und Streitigkeiten, die an ihn herangetragen wurden, zu lösen, als wären es Rätsel. Er freute sich, daß Gaius Marius ihm zunehmend schwierigere und verantwortungsvollere Aufgaben übertrug. Quintus Sertorius empfand für Gaius Marius fast so etwas wie Heldenverehrung, die Haltung des unfertigen Schülers, der die reife Vollendung seines Meisters anerkennt. Gaius Marius konnte ihm jede noch so unangenehme Aufgabe anvertrauen, Quintus Sertorius erfüllte sie mit Freuden, und während andere junge Mllltärtribunen den Dienst vor dem Feldherrenzelt haßten, liebte Quintus Sertorius ihn über alles.
Interessiert betrachtete Quintus Sertorius den ligurischen Kavalleristen, der in der typischen Gangart des Reiters daherschlurfte, nicht daran gewöhnt, die Beine zum Gehen zu benützen. Kein sehr ansprechender Bursche, dachte Quintus Sertorius, wahrscheinlich konnte nur seine Mutter etwas Hübsches an ihm finden. Doch sein Kettenhemd war auf Hochglanz poliert, die weichen ligurischen Reiterstiefel waren mit funkelnden Sporen versehen, und die ledernen Kniehosen wirkten erstaunlich sauber. Er roch nach Pferd, aber das gehörte bei den Kavalleristen einfach dazu und hatte nichts damit zu tun, wie oft sie sich badeten oder ihre Kleider wuschen.
Zwei Paar gescheiter, brauner Augen blickten sich an und fanden Gefallen aneinander.
Noch keine Auszeichnungen, dachte Quintus Sertorius bei sich, aber die Kavallerie hatte bis jetzt ja auch noch nichts zu tun gehabt.
Ziemlich jung für diese Aufgabe, dachte Publius Vagiennius, aber ein richtig gutaussehender Soldat - gibt es selten. Ein typischer römischer Fußsoldat, kein Gefühl für Pferde.
»Publius Vagiennius, ligurische Kavallerieschwadron«, stellte er sich vor. »Ich möchte Gaius Marius sprechen.«
»Rang?« fragte Quintus Sertorius.
»Einfacher Soldat der Hilfstruppen.«
»Worum geht es?«
»Eine persönliche Angelegenheit.«
»Der Feldherr«, sagte Quintus Sertorius freundlich, »empfängt keine einfachen Soldaten der berittenen Hilfstruppen, besonders wenn sie ganz alleine kommen. Wo ist dein Tribun, Legionär?«
»Er weiß nicht, daß ich hier bin«, antwortete Publius Vagiennius mit trotziger Miene. »Es geht um eine persönliche Sache.«
»Gaius Marius ist ein vielbeschäftigter Mann«, entgegnete Quintus Sertorius.
Publius Vagiennius stutzte sich mit beiden Händen auf den Tisch und streckte seinen Kopf vor. Die Wolke von Knoblauchgeruch warf Sertorius fast um. »Jetzt hör mal zu, junger Herr, du sagst Gaius Marius, daß ich einen Vorschlag zu machen habe, der ihm viele Vorteile bringen wird - aber ich werde ihn nur ihm persönlich unterbreiten. Das ist mein letztes Wort.«
Quintus Sertorius platzte schier vor Lachen, aber er verzog keine Miene und erhob sich. »Warte hier,
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