Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
Ihre Figur war vielleicht etwas schmal, denn sie war groß und hatte nur kleine Brüste. Sie trug Gewänder von untadeliger Eleganz und verachtete hochhackige Korkabsätze und auffallenden Schmuck. Ihr dichtes, glattes, dunkelblond schimmerndes Haar war in einem schlichten Knoten auf dem Hinterkopf zusammengefaßt, so daß ihr Gesicht dem Betrachter ohne schmückenden Rahmen dargeboten wurde. Die zarte, makellose Haut zeigte über den hohen Wangenknochen ein leichtes Rosa, das sich in den sanften Kuhlen darunter vertiefte. Die Nase war so gerade und wohlgeformt, als hätte Praxiteles selbst sie gemeißelt, und lang genug, um jeden Verdacht auf keltisches Blut zu zerstreuen. Ihr Mund, tiefrot und an den Winkeln leicht aufwärts gebogen, zog jeden Mann magisch an. Das schöne, herzförmige Gesicht mit der hohen, klaren Stirn, dem wohlgeformten Haaransatz und einem kleinen Grübchen im Kinn wurde von großen Augen beherrscht. Man war sich einig, daß sie nicht dunkelblau, sondern veilchenblau waren, umrahmt von langen dichten Wimpern, über denen sich dunkle, seidige Brauen wölbten.
    Es gab viele Diskussionen auf Herrenabenden - gewöhnlich befanden sich unter den Gästen mindestens zwei oder drei von Aurelias Freiern -, was genau Aurelias Reiz ausmachte. Manche sagten, es seien diese nachdenklichen violetten Augen, andere meinten, es sei die bemerkenswerte Reinheit ihrer Haut, wieder andere gaben der Klarheit ihrer Gesichtszüge den Vorzug. Und einige äußerten sich leidenschaftlich über ihren Mund, über das Grübchen am Kinn oder die zartgeformten Hände und Füße.
    »Es ist nichts davon und doch alles zugleich, ihr Narren« knurrte Lucius Licinius Crassus Orator. »Sie ist eine vestalische Jungfrau, die frei herumläuft, sie ist Diana, nicht Venus! Unerreichbar! Und darin liegt ihre Faszination.«
    »Nein, es sind diese veilchenblauen Augen«, widersprach ihm der Sohn des Senatsvorsitzenden Scaurus, der Marcus hieß wie sein Vater. »Violett - die edelste der Farben. Sie ist ein lebendes, atmendes Omen.«
    Als das lebende, atmende Omen den Wohnraum betrat, so ruhig und makellos wie immer, verbreitete es keinerlei dramatische Atmosphäre - Aurelia hatte keinen Hang zum Theatralischen.
    »Setz dich, Tochter«, sagte Rutilia lächelnd.
    Aurelia nahm Platz und faltete die Hände im Schoß.
    »Wir wollen über deine Heirat mit dir sprechen«, begann Cotta und räusperte sich. Er hoffte, sie würde ihm helfen, einen Anfang zu finden, doch Aurelia sah ihn nur höflich interessiert an.
    »Wie denkst du darüber?« fragte Rutilia.
    Aurelia kräuselte die Lippen und zuckte mit den Schultern. »Nun, ich hoffe, ihr werdet jemanden aussuchen, den ich mag.«
    »Das hoffen wir auch«, versicherte Cotta.
    »Gibt es jemanden, den du nicht magst?« fragte ihre Mutter.
    »Gnaeus Domitius Ahenobarbus den Jüngeren«, erwiderte Aurelia ohne Zögern.
    Cotta verstand das voll und ganz. »Sonst noch Jemand?« fragte er.
    »Marcus Aemilius Scaurus den Jüngeren.«
    »Oh, wie schade!« rief Rutilia. »Ich finde ihn sehr nett.«
    »Ich gebe zu, er ist nett«, meinte Aurelia. »Aber er ist schüchtern.«
    Cotta versuchte nicht, sein Grinsen zu verbergen. »Hättest du nicht gerne einen schüchternen Ehemann, Aurelia? Du wärst die Herrscherin im Hause.«
    »Eine gute römische Ehefrau beherrscht ihren Mann nicht.«
    »Nun, soviel zu Scaurus. Aurelia hat gesprochen.« Cotta bebte vor unterdrücktem Lachen. »Sonst noch jemand, der dir nicht gefällt?«
    »Lucius Licinius.«
    »Was stört dich bei ihm?«
    »Er ist fett.«
    »Nicht gerade anziehend, hm?«
    »Es zeigt einen Mangel an Selbstdisziplin, Vater.«
    Manchmal redete Aurelia Marcus mit Vater an, manchmal nannte sie ihn Onkel. Das richtete sich immer streng nach logischen Gesichtspunkten: War es deutlich, daß Cotta die Vaterstelle vertrat, war er »Vater«, handelte er in einer verwandtschaftlichen Rolle, war er »Onkel«.
    »Du hast recht, das tut es«, meinte Cotta.
    »Gibt es einen Bewerber, dem du den Vorzug vor den anderen geben würdest?« versuchte Rutilia eine neue Taktik.
    Der gekräuselte Mund entspannte sich. »Nein, Mutter, eigentlich nicht. Es ist mir ganz recht, wenn ihr entscheidet, du und Vater.«
    »Was erhoffst du dir von der Ehe?«
    »Einen Ehemann, der meinem Rang entspricht - und dessen Rang ich entspreche - wohlgeratene Kinder.«
    »Eine Antwort wie aus dem Lehrbuch«, sagte Cotta. »Du kannst dich in die erste Reihe setzen.«
    Rutilia warf ihrem Gatten einen

Weitere Kostenlose Bücher