MoR 01 - Die Macht und die Liebe
hatte man noch nichts von der großen Schlacht gehört, die vier Tage zuvor stattgefunden hatte. Cotta fand die Stadt - so hell, so gepflegt, so griechisch - in fieberhafter Aufregung über den Vormarsch der Germanen.
Cotta begab sich in höchster Eile und mit der Arroganz eines höheren Magistrats, der in dringenden Geschäften unterwegs ist, zum Haus des ethnarch , nachdem er sich den Weg hatte zeigen lassen. Massilia erfreute sich guter Beziehungen zu Rom, ohne jedoch den römischen Gesetzen unterworfen zu sein. Man hätte Cotta höflich die Tür weisen können, doch dies geschah natürlich nicht. Vor allem nicht, nachdem der ethnarch und einige Räte, die in der Nähe wohnten, hörten, was Cotta zu berichten hatte.
»Ich möchte das schnellste Schiff, das ihr habt, und die besten Seemänner und Ruderer von Massilia«, sagte Cotta. »Das Schiff darf keine Fracht an Bord haben, sonst ist es zu langsam. Statt dessen brauche ich zwei zusätzliche Rudermannschaften für den Fall, daß wir gegen den Wind oder gegen schwere See zu rudern haben. Ich schwöre dir, ethnarch Aristides, daß ich in drei Tagen in Rom sein werde, und wenn das bedeutet, daß die ganze Strecke gerudert werden muß! Wir werden nicht an der Küste entlangfahren, sondern auf dem direktesten Kurs nach Ostia, den der beste Navigator von Massilia steuern kann. Wann erreicht die Flut ihren höchsten Stand?«
»Das Schiff und die Rudermannschaften werden bei Sonnenaufgang zur Verfügung stehen, Marcus Aurelius. Dann hat auch die Flut den höchsten Punkt erreicht«, sagte der ethnarch freundlich. Er räusperte sich zurückhaltend. »Wer wird denn bezahlen?«
Typisch massilischer Grieche, dachte Cotta, doch er sprach es nicht aus. »Stelle mir eine Rechnung aus«, erwiderte er. »Der Senat und das Volk von Rom werden bezahlen.« Die Rechnung wurde sofort geschrieben. Cotta sah den völlig überhöhten Preis und knurrte. »Es ist tragisch, wenn schlechte Neuigkeiten so viel kosten, daß davon schon wieder ein neuer Krieg gegen die Germanen bezahlt werden könnte. Ich nehme an, du wirst um keine Drachme heruntergehen?«
»Ich stimme dir zu, es ist tragisch«, meinte der ethnarch höflich. »Aber trotz allem - Geschäft ist Geschäft. Der Preis ist gemacht, Marcus Aurelius. Entweder du bist einverstanden, oder du läßt es bleiben.«
»Ich bin einverstanden«, sagte Cotta.
Caepio und sein Sohn hatten sich nicht die Mühe gemacht, auf ihrem Weg nach Rom über Massilia zu reisen, auf dem Landweg hätte das ohnehin nur einen Umweg bedeutet. Niemand wußte besser als Caepio, daß die Winde über dem sinus gallicus immer in die falsche Richtung bliesen - er hatte immerhin ein Jahr in Narbo verbracht und davor schon eines als Prätor in Spanien. Statt dessen würde er die Via Domitia bis zum Tal der Durance nehmen, über den Mons-Genava-Paß nach Gallia Cisalpina gelangen und dann so schnell wie möglich auf der Via Aemilia und der Via Flavia nach Rom eilen. Er hoffte, pro Tag durchschnittlich siebzig Meilen zurückzulegen, vorausgesetzt, er konnte unterwegs überall gute Tiere beschlagnahmen, und mit seinem prokonsularischen imperium sollte das eigentlich kein Problem sein. Es war in der Tat kein Problem.
Mit jeder Meile, die er zurücklegte, wuchs seine Zuversicht, daß er den Kurier der Senatoren schlagen würde. Die Alpen überquerte er so rasch, daß nicht einmal die Vokonter - immer auf der Ausschau nach römischen Reisenden, die sie überfallen konnten - in der Lage waren, einen Angriff auf die beiden galoppierenden Maultiergespanne zu führen.
Als Caepio Ariminum und damit das Ende der Via Aemilia erreicht hatte, wußte er, daß er von Arausio bis Rom dank der guten Straßen und der frischen Tiere nicht länger als sieben Tage brauchen würde. Langsam wurde er ruhiger. Er würde erschöpft in Rom ankommen, er würde schreckliche Kopfschmerzen haben, aber all das spielte keine Rolle. Nur eines zählte: Seine Version der Geschehnisse bei Arausio würde die erste sein, und damit hatte er die Schlacht so gut wie gewonnen. Als Fanum Fortunae vor ihnen auftauchte, schwenkte die Reisegruppe auf die Via Flaminia ein und fuhr dem Tal des Tibers entgegen. Caepio wußte, daß er gewonnen hatte. Seiner Version würde man in Rom Glauben schenken.
Doch Fortuna bevorzugte einen anderen. Marcus Aurelius Cotta durchsegelte den sinus gallicus von Massilia nach Ostia bei Winden, die entweder aus der richtigen Richtung oder überhaupt nicht bliesen, und die
Weitere Kostenlose Bücher