MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Überfahrt verlief sehr viel besser als erwartet. Wenn kein Wind blies, nahmen die Ruderer ihre Plätze ein, der hortator schlug den Rhythmus auf seiner Trommel, und dreißig muskulöse Rücken beugten sich über die Ruder. Das Schiff war klein und eher für Geschwindigkeit als für Fracht ausgelegt. Nach Cottas Ansicht sah es verdächtig nach einem Kampfschiff aus, obwohl die Einwohner von Massilia eigentlich keine Kampfschiffe besitzen durften. Auf jeder Seite saßen fünfzehn Ruderer hintereinander. Ihre Reihen wurden von Decks geschützt, die sich durch das Anbringen starker Schilde im Handumdrehen in Plattformen verwandeln ließen, auf denen man kämpfen konnte. Der Kran auf dem Hinterdeck war eine seltsame Konstruktion. Vielleicht, dachte Cotta, stand hier normalerweise ein starkes Katapult? Piraterie war ein einträgliches Geschäft und wurde im ganzen Mittelmeer betrieben.
Aber Cotta war kein Mann, der an einem Geschenk Fortunas herummäkelte. So nickte er nur höflich, als der Kapitän ihm erklärte, daß er auf die Beförderung von Passagieren spezialisiert sei. Auf den Decks über den Ruderreihen könnten sich die Passagiere etwas die Beine vertreten, die Kabinen seien ja leider ein wenig primitiv.
Bevor sie abgelegt hatten, hatte der Kapitän Cotta überzeugt, daß sie keine zwei zusätzlichen Rudermannschaften brauchten. Seine Männer seien die besten weit und breit, bessere könne er gar nicht finden. Sie könnten mit nur einer zusätzlichen Mannschaft die höchste Geschwindigkeit halten, und inzwischen war Cotta froh, daß er zugestimmt hat - das Schiff mußte kein zusätzliches Gewicht tragen, und gerade als die Ruderer erste Zeichen von Erschöpfung zeigten, setzte ein leichter Wind ein, stark genug, um beiden Rudermannschaften eine Pause zu verschaffen.
Das Schiff hatte den großen Hafen von Massilia in der Morgendämmerung des elften Tages im Oktober verlassen, drei Tage später warf es Anker in dem armseligen Hafen von Ostia - einen Tag vor den Iden des Oktobers. Und drei Stunden später betrat Cotta das Haus des Konsuls Publius Rutilius Rufus. Die wartenden Klienten scheuchte er vor sich her wie ein Fuchs die aufgeschreckten Hühner.
»Hinaus!« sagte er zu dem Klienten, der auf dem Besucherstuhl an Rutilius Rufus’ Schreibtisch saß. Müde ließ sich Cotta auf den Stuhl fallen, während sich der Klient erschreckt davonmachte.
Um die Mittagszeit kam der Senat zu einer außerordentlichen Sitzung in der curia hostilia zusammen. Ungefähr zur gleichen Zeit brachten Caepio und sein Sohn in schnellem Trott das letzte Stück der Via Aemilia hinter sich.
»Laßt die Türen offen«, befahl Publius Rutilius Rufus dem obersten Senatsdiener. »Das Volk soll hören, was in dieser Sitzung gesprochen wird. Und ich möchte, daß jedes Wort niedergeschrieben und im Senatsprotokoll festgehalten wird.«
In Anbetracht des Umstandes, daß man die Sitzung so kurzfristig anberaumt hatte, waren erstaunlich viele Senatoren anwesend. Auf unergründliche Weise war das Gerücht von einer schrecklichen Niederlage Roms gegen die Germanen bereits vor der offiziellen Verkündung in die Stadt gelangt. Der Versammlungsplatz der Komitien füllte sich ebenso schnell mit Menschen wie die Stufen zur curia hostilia .
Die ehrwürdigen Senatoren hatten Caepios Briefe, in denen er Einwände gegen Mallius Maximus erhob und den Oberbefehl für sich beanspruchte, noch gut in Erinnerung. Sie befürchteten neue Auseinandersetzungen und waren nervös. Der kühne Marcus Aemilius Scaurus hatte seit Wochen nichts von Caepio gehört und wußte, daß er im Nachteil war. Als nun Konsul Rutilius Rufus befahl, die Türen offenstehen zu lassen, machte Scaurus keine Anstalten, Einwände zu erheben, ebensowenig Metellus Numidicus. Alle Augen waren auf Cotta gerichtet, der in der ersten Reihe saß, neben dem Podium, auf dem der Elfenbeinstuhl seines Schwagers Rutilius Rufus stand.
»Marcus Aurelius Cotta ist heute morgen in Ostia angekommen«, eröffnete Rutilius Rufus die Sitzung. »Vor drei Tagen war er noch in Massilia und einen Tag davor in Arausio, ganz in der Nähe unserer Armeen. Ich erteile Marcus Aurelius Cotta das Wort und setze den Senat in Kenntnis, daß diese Sitzung protokolliert wird.«
Natürlich hatte Cotta ein Bad genommen und sich umgezogen, doch sein Gesicht, das sonst eine lebhafte Farbe zeigte, war grau vor Erschöpfung. Jeder Faser seines Körpers sah man an, wie müde er war, als er nun aufstand und das Wort
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