MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Silo.
Die Kopfwunde schmerzte nicht mehr ganz so stark, Drusus konnte sich ohne Schwierigkeiten umdrehen und Silo ansehen. »Weißt du das denn nicht?« fragte er.
»Was weiß denn ein Italiker schon über militärische Entscheidungen der Römer?« Silo spuckte verächtlich aus. »Wir Italiker sind nur hier, um zu kämpfen. Wir haben nichts zu sagen, wenn es darum geht, wie wir kämpfen sollen, Marcus Livius.«
»Nun, von dem Tag an, an dem Quintus Servilius aus Narbo kam, hat er sich geweigert, mit Gnaeus Mallius zusammenzuarbeiten.« Drusus zitterte. »Er wollte keine Befehle von einem Emporkömmling annehmen.«
Silo starrte Drusus an, gelbgrüne Augen bohrten sich in schwarze. »Du meinst, Gnaeus Mallius wollte, daß Quintus Servilius in sein Lager zieht?«
»Natürlich! Genauso wie die sechs Senatoren, die aus Rom gekommen waren. Aber Quintus Servilius wollte sich nicht dem Befehl von Gnaeus Mallius unterstellen.«
»Willst du damit sagen, es war Quintus Servilius’ Schuld, daß die beiden Armeen so weit auseinander gestanden haben?« Es schien, als könnte Silo nicht glauben, was er da hörte.
»Ja, es war Quintus Servilius’ Schuld.« Es mußte ausgesprochen werden. »Er ist mein Schwiegervater, ich bin mit seiner einzigen Tochter verheiratet. Wie soll ich das ertragen? Sein Sohn ist mein bester Freund und mit meiner Schwester verheiratet. Er hat auch hier gekämpft. Jetzt ist er tot, vermute ich.« Was Drusus von seinem Gesicht wischte, waren mehr Tränen als Wundflüssigkeit. »Stolz, Quintus Poppaedius! Dummer, nutzloser Stolz!«
Silo blieb stehen. »Sechstausend marsische Soldaten und zweitausend marsische Sklaven starben gestern hier. Und jetzt sagst du mir, daß das alles nur wegen eines hochstehenden römischen Idioten passiert ist, der irgendeinen weniger hochstehenden römischen Idioten nicht leiden konnte?« Zischend sog Silo den Atem zwischen den Zähnen ein, er zitterte vor Wut. »Möge die Große Schlange sie beide holen!«
»Vielleicht sind ja noch ein paar von deinen Männern am Leben«, meinte Drusus, nicht um seine Vorgesetzten zu entschuldigen, vielmehr um diesen Mann, den er außerordentlich gern mochte, ein wenig zu trösten. Ein Schmerz überflutete ihn, der nichts mit seiner Wunde zu tun hatte, sondern mit einer überwältigenden Trauer. Marcus Livius Drusus, der das wirkliche Leben bislang kaum kennengelernt hatte, weinte vor Scham bei dem Gedanken, daß Rom von Männern geführt wurde, die so viel Leid verursachten, nur weil der eine sich höher dünkte als der andere.
»Nein, sie sind tot«, erwiderte Silo. »Warum, denkst du, habe ich so lange gebraucht, um zu dir und Quintus Sertorius zu kommen? Ich habe mir meine Männer angeschaut. Sie sind tot. Alle tot!«
»Und meine auch«, sagte Drusus und weinte immer noch. »Wir an der rechten Seite haben die volle Wucht des Angriffs abbekommen, und wir haben nicht einmal von Ferne einen unserer Reiter gesehen.«
Kurz danach erblickten sie die Gruppe der Senatoren und riefen laut um Hilfe.
Marcus Aurelius Cotta brachte die verwundeten Militärtribunen selbst nach Arausio. Er stapfte die fünf Meilen hinter dem Ochsenkarren her, der durch seine Beschaffenheit und den gemächlichen Schritt der Tiere am besten für den Transport der Verwundeten geeignet war. Die anderen Senatoren waren zurückgeblieben und versuchten, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Marcus Antonius Merrunius hatte einige Gallier, die auf den Bauernhöfen um Arausio lebten, überredet, zum Schlachtfeld zu gehen und zu helfen.
»Das ist jetzt schon der dritte Abend nach der Schlacht, wir können die Toten nicht länger so liegen lassen«, sagte Cotta zu Meminius, als er dessen Haus erreicht hatte.
»Die Leute aus der Stadt sind geflohen, und die Bauern sind überzeugt, daß die Germanen zurückkommen werden. Du weißt nicht, wieviel Überredungskunst es mich gekostet hat, bis sie bereit waren, euch da draußen zu helfen«, meinte Meminius.
»Ich weiß nicht, wo die Germanen sind«, erwiderte Cotta. »Ich habe keine Ahnung, warum sie sich nach Norden zurückgezogen haben. Bis jetzt konnte ich noch keine Spur von ihnen entdecken. Unglücklicherweise habe ich niemanden, den ich als Kundschafter aussenden könnte. Ich brauche jeden Mann auf dem Schlachtfeld.«
»Oh!« Meminius schlug sich an die Stirn. »Vor vier Stunden kam ein Mann in den Ort geritten. Ich habe nicht viel von dem verstanden, was er sagte, nur daß er einer der germanischen Dolmetscher
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