MoR 01 - Die Macht und die Liebe
anderen: »Nein. Was du sagst, mag für Numidien gelten oder für ein anderes Land. Aber niemals für Rom! Kein römischer Patrizier könnte je so denken oder handeln wie Gaius Marius.«
Seine Worte ließen keinen Widerspruch zu. Nach einigen weiteren Gläsern Wein löste die Gesellschaft sich auf. Publius Rutilius Rufus ging nach Hause, und die anderen verteilten sich auf ihre Schlafzimmer im Haus des Metellus Numidicus. Wohlig gesättigt und befriedigt von den erlesenen Speisen, dem Wein und der angenehmen Gesellschaft, sank Jugurtha von Numidien in einen tiefen, friedlichen Schlaf.
Als Jugurtha zwei Stunden vor Anbruch der Dämmerung von dem Sklaven geweckt wurde, den man ihm als Hausdiener zugeteilt hatte, fühlte er sich frisch und gestärkt. Man gestattete ihm, ein heißes Bad zu nehmen, dann wurde er mit größter Sorgfalt frisiert und angekleidet. Mehrere Sklaven drehten mit erhitzten Zangen seine Haare zu langen, wurstförmigen Locken und kräuselten seinen schmucken Bart. Durch die Haare flochten sie Gold- und Silberschnüre, und Wangen und Kinn rasierten sie sorgfältig. Als König Jugurtha aus seiner Kammer trat, gesalbt mit duftenden Ölen und angetan mit seinem Diadem und seinen sämtlichen Juwelen - die von den Beamten der Finanzverwaltung bereits katalogisiert worden waren und am Tag nach dem Triumph zum Marsfeld gebracht werden sollten, wo die Beute verteilt wurde -, sah er wieder aus wie der hellenisierte Herrscher, der er gewesen war, eine königliche Erscheinung von Kopf bis Fuß.
»Heute«, sagte er zu seinen Söhnen, während sie in offenen Sänften zum Marsfeld getragen wurden, »sehe ich Rom zum ersten Malin meinem Leben.«
Sulla empfing sie persönlich inmitten des Chaos, das um ihn herum ausgebrochen schien, beleuchtet nur vom Schein der Fackeln. Aber über dem Kamm des Esquilin brach bereits die Morgendämmerung an, und Jugurtha vermutete, daß der Eindruck von Chaos nur durch die riesige Menschenmasse vor der Villa Publica entstand, und daß in Wirklichkeit Disziplin und Ordnung herrschten.
Man hatte ihn in Ketten gelegt, doch das war lediglich symbolisch. Wohin hätte ein punischer Kriegerkönig in Italien fliehen sollen?
»Wir haben gestern abend über dich gesprochen«, sagte Jugurtha aufgeräumt zu Sulla.
»Ach ja?« Sulla trug einen glänzenden silbernen Brustpanzer, silberne Beinschienen, einen attischen Helm aus Silber mit einem wallenden Helmbusch aus scharlachroten Federn und einen scharlachroten Soldatenmantel. Für Jugurtha, der ihn nur im breitkrempigen Strohhut kannte, war er ein Fremder. Hinter Sulla trug ein Leibsklave ein Gestell, an dem seine Tapferkeitsmedaillen hingen, eine eindrucksvolle Sammlung.
»Ja«, sagte Jugurtha immer noch gutgelaunt. »Wir haben darübergesprochen, wer eigentlich den Krieg gegen mich gewonnen hat - Gaius Marius oder du.«
Sulla hob den Blick und sah Jugurtha an. Das Weiß seiner Augen leuchtete im Dunkel auf. »Eine interessante Unterhaltung, König. Auf welche Seite hast du dich gestellt?«
»Auf die Seite des Rechts. Ich sagte, daß Gaius Marius den Krieg gewonnen hat. Er traf die Entscheidungen, und es waren seine Männer, die kämpften, darunter auch du. Und du hast meinen Schwiegervater Bocchus auf seinen Befehl hin aufgesucht.« Jugurtha hielt inne und lächelte. »Mein einziger Verbündeter war mein alter Freund Publius Rutilius. Quintus Caecilius und sein Sohn behaupteten beide, du hättest den Krieg gewonnen, weil du mich gefangengenommen hast.«
»Du hast dich auf die Seite des Rechts gestellt«, sagte Sulla.
»Die Seite des Rechts ist relativ.«
»Nicht in diesem Fall«, sagte Sulla. Seine Federn nickten in die Richtung, wo Marius’ Soldaten scheinbar ziellos durcheinanderliefen. »Ich werde mit Soldaten nie so gut umgehen können wie er. Ich kann keine kameradschaftlichen Gefühle für sie aufbringen.«
»Du verbirgst es gut«, sagte Jugurtha.
»Aber sie wissen es, glaube mir. Es stimmt - Marius hat den Krieg gewonnen, zusammen mit seinen Soldaten. Was ich getan habe, hätte jeder andere Legat auch tun können.« Er atmete tief ein. »Du hattest also einen angenehmen Abend, König?«
»Sehr angenehm!« Jugurtha klimperte mit den Ketten. Wie leicht sie waren, ohne Mühe zu tragen. »Quintus Caecilius und sein stotternder Sohn haben ein königliches Mahl für mich ausgerichtet. Wenn man einen Numider fragt, was er am Tag vor seinem Tod essen will, verlangt er immer Schnecken. Und gestern abend gab es
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