MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Numidien.
Jugurtha sah seine Söhne an. »Lebt wohl, und lebt lange«, sagte er. Sie gingen in die Gefangenschaft in ferne römische Städte, während seine Edlen und Frauen nach Numidien zurückkehren wurden.
Die Liktoren der Wache, die den König umgaben, zogen an seinen Ketten, und er folgte ihnen über den überfüllten Platz des unteren Forums, vorbei an den Bäumen am Lacus Curtius und die Statue des Flöte spielenden Satyrs Marsyas, um den großen, von Sitzreihen umgebenen Platz herum, auf dem sich die Tribus trafen, und hinauf zum Anfang des Clivus Argentarius. Über sich sah er die Arx des Kapitols und den Tempel der Juno Moneta, der die Münze beherbergte. Und dort drüben, auf der anderen Seite des Comitiums, stand das alte, heruntergekommene Senatsgebäude, und jenseits davon die kleine, heruntergekommene Basilica Porcia, die Cato der Zensor gebaut hatte.
Und hier war sein Marsch durch Rom zu Ende. In die Flanke des Hügels der Arx neben der Gemonischen Treppe duckte sich das Tullianum, ein kleines, graues Gebäude mit Mauern aus riesigen, ohne Mörtel aufeinandergeschichteten Quadern. Solche Mauern hießen überall auf der Welt kyklopische Mauern. Das Gebäude hatte nur ein Stockwerk und nur einen Zugang, eine türlose, rechteckige Öffnung im Stein. Jugurtha wollte den Kopf einziehen, als er an den Eingang kam, um nicht anzustoßen, aber er konnte aufrecht hindurchgehen: Die Öffnung war größer als der größte Sterbliche.
Die Liktoren nahmen ihm seine Kleider, Geschmeide und das Diadem weg und übergaben alles den bereits wartenden Beamten des Staatsschatzes. Eine Empfangsbescheinigung wechselte die Hände, und damit war offiziell bestätigt, daß das Staatseigentum ordnungsgemäß übergeben worden war. Jugurtha durfte nur sein Lendentuch anbehalten. Metellus Numidicus hatte ihm geraten, es zu tragen, denn er wußte, was Jugurtha bevorstand. War der Quell seiner physischen Existenz anständig bedeckt, konnte der Mensch anständig in den Tod gehen.
Der Raum wurde nur durch die Öffnung hinter Jugurtha erhellt, aber im Dämmerlicht konnte er das runde Loch in der Mitte des Bodens erkennen. Durch dieses Loch würde man ihn stoßen. Hätte man beabsichtigt, ihn zu erdrosseln, dann hätte der Henker ihn, zusammen mit einigen Helfern, die ihn festhalten sollten, in das untere Gelaß begleitet. Nach getaner Tat hätte man seine Leiche in einen Abwasserkanal geworfen, und die Lebenden wären die Leiter wieder emporgeklettert ins Licht Roms und der Welt.
Aber Sulla hatte sich offensichtlich tatsächlich darum gekümmert, daß das übliche Verfahren geändert wurde, denn kein Henker stand bereit. Jemand holte eine Leiter, aber Jugurtha stieß sie unwirsch zur Seite. Er trat an den Rand des Lochs, dann machte er einen Schritt ins Leere, und kein Laut drang dabei über seine Lippen. Welcher Worte hätte es auch noch bedurft? Unmittelbar darauf ertönte ein dumpfer Aufprall, denn das untere Gelaß war nicht besonders tief. Als die Liktoren ihn hörten, drehten sie sich schweigend um und verließen den Ort. Keiner verschloß das Loch mit einem Deckel, keiner verbarrikadierte den Eingang. Denn keiner kletterte je wieder aus dem finsteren Kerker unter dem Tullianum.
Zwei weiße Ochsen und einen weißen Stier stiftete Marius für die Tieropfer dieses Tages. Am Fuß der Treppe zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus hielt er den von vier Pferden gezogenen Streitwagen an und stieg allein die Stufen hinauf. Im Hauptraum des Tempels legte er seinen Lorbeerzweig und den Lorbeerkranz zu Füßen der Statue des Jupiter Optimus Maximus nieder. Nach ihm kamen seine Liktoren herein und opferten ihre Lorbeerkränze gleichfalls dem Gott.
Es war erst Mittag. Noch kein Triumphzug war so schnell über die Bühne gegangen. Der Rest des Zuges - der größte Teil - ließ sich allerdings mehr Zeit, so daß die Zuschauer in aller Ruhe die dargestellten Szenen, Schauwagen, Beutestücke, Siegestrophäen und Soldaten ansehen konnten. Für Marius kam jetzt der wichtigste Teil des Tages. Das Gesicht noch rot geschminkt und bekleidet mit der golddurchwirkten Purpurtoga und der mit Palmwedeln bestickten Tunika, das elfenbeinerne Zepter in der Rechten, schritt er die Stufen zu den versammelten Senatoren hinunter. Er ging rasch, denn erwollte die Amtsübernahme hinter sich bringen. Die Kleidung behinderte ihn, aber das war ein Übel, mit dem er fertig werden konnte.
»Fangen wir an!« sagte er ungeduldig.
Auf seine Worte folgte eisiges
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