MoR 01 - Die Macht und die Liebe
nur loyal, sondern sie kannte ihn auch durch und durch.
»Zum Glück merkte ich, was er vorhatte, trotz der vielen roten Farbe in seinem Gesicht.« Sulla grinste. »Es sind seine Augenbrauen. Wer drei Jahre mit Gaius Marius zusammen war, muß ein Idiot sein, wenn er ihm nicht die Gedanken an den Augenbrauen ablesen kann. Sie ziehen sich auf eine bestimmte Weise zusammen und gehen auf und ab. Du weißt das sicher, schließlich bist du klug!«
»Ja, ich weiß.« Julia lächelte verständnisvoll.
»Auf jeden Fall war ich als erster bei ihm und rief, er habe sicher nicht daran gedacht, oder so etwas ähnliches. Puh! Für einen Moment hielt ich den Atem an. Er wollte mich schon anschreien, ich solle mich in den Tiber stürzen. Dann sah er, daß Quintus Caecilius Numidicus nur darauf wartete, und änderte seine Absicht. Was für ein Schauspieler! Ich glaube, alle außer Publius Rutilius ließen sich täuschen und dachten, er habe tatsächlich vergessen, was er anhatte.«
»Ich danke dir, Lucius Cornelius!«
»Es war mir ein Vergnügen.« Sulla meinte es ernst.
»Noch Glühwein?«
»Ja, gerne.«
Als Julia mit dem Wein zurückkehrte, trug sie in der anderen Hand ein Tablett mit dampfenden Brötchen. »Hier, die sind ganz frisch. Hefeteig, mit Wurst gefüllt. Sie schmecken vorzüglich! Unser Koch macht sie dauernd für den kleinen Marius. Er ist gerade in einer schrecklichen Phase, er ißt einfach nicht, was er soll.«
»Meine zwei essen alles, was sie vorgesetzt bekommen«, sagte Sulla. Sein Gesicht hellte sich auf. »Sie sind so süß, Julia! Ich hätte nie gedacht, daß lebendige Wesen so - so - vollkommen sein können!«
»Ich habe sie ja auch so lieb«, sagte Julia.
»Ich wollte, man könnte das auch von deiner Schwester Julilla sagen.« Sullas Gesicht verdüsterte sich.
»Ich weiß«, sagte Julia leise.
»Was ist los mit ihr? Weißt du es?«
»Ich glaube, wir haben sie zu sehr verwöhnt. Du mußt wissen, Vater und Mutter wollten kein viertes Kind. Sie hatten zwei Söhne, und als ich kam, machte ihnen das nichts aus, ein Mädchen rundete die Familie sozusagen ab. Aber Julilla war ein Schock. Und wir waren zu arm. Ich glaube, deshalb tat sie allen leid, als sie größer war. Besonders Mutter und Vater, weil sie sie nicht gewollt hatten. Julilla konnte tun, was sie wollte, wir fanden immer eine Entschuldigung für sie. Hatten meine Eltern einen oder zwei Sesterze übrig, bekam Julilla sie und durfte damit tun, was sie wollte. Sie wurde nie ausgeschimpft, wenn sie das Geld verpraßte. Ich glaube, sie war von Anfang an egoistisch, und wir halfen ihr nicht, das zu überwinden - wir hätten sie Geduld und Nachsicht lehren sollen, aber wir taten es nicht. Als Julilla größer wurde, hielt sie sich für die wichtigste Person der Welt und war selbstsüchtig, egoistisch und selbstgerecht. Das ist vor allem unsere Schuld. Aber die arme Julilla muß darunter leiden.«
»Sie trinkt zuviel«, sagte Sulla.
»Ja, ich weiß.«
»Und sie kümmert sich kaum um die Kinder.«
Tränen traten in Julias Augen. »Ich weiß.«
»Was soll ich tun?«
»Du könntest dich scheiden lassen.« Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen.
Sulla streckte verzweifelt die Hände aus, die von der Wurst in dem Brötchen fettig glänzten. »Wie kann ich das tun, wenn ich von Rom weg bin, bis die Germanen besiegt sind? Und wer weiß, wie lange das dauert. Und sie ist die Mutter meiner Kinder. Ich habe sie geliebt, wie ich eben jemanden lieben kann.«
»Warum sagst du das immer, Lucius Cornelius? Wenn du liebst - liebst du! Warum solltest du weniger lieben als andere Männer?« Aber damit hatte Julia Sulla an einer empfindlichen Stelle getroffen. Auf einmal war er zugeknöpft. »Ich bin ohne Liebe aufgewachsen und habe nie gelernt zu lieben«, sagte er. Es war seine gewöhnliche Entschuldigung. »Ich liebe sie nicht mehr. Ich glaube sogar, ich hasse sie. Aber sie ist die Mutter meiner Tochter und meines Sohnes, und solange die Germanen nicht der Vergangenheit angehören, haben meine Kinder nur Julilla. Wenn ich mich scheiden lassen würde, würde sie irgend etwas Dramatisches tun - verrückt werden, sich umbringen, dreimal soviel Wein trinken wie bisher oder eine ähnlich unsinnige Verzweiflungstat.«
»Du hast recht, Scheidung ist kein Ausweg. Julilla könnte den Kindern mehr Schaden zufügen als jetzt.« Julia seufzte und wischte sich die Augen. »Übrigens gibt es gerade zwei unglückliche Frauen in der Familie. Darf ich eine andere
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