MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Schweigen. Keiner der Senatoren bewegte sich, keiner verriet durch ein Zucken des Gesichts, was er dachte. Selbst Marius’ Amtskollege Gaius Flavius Fimbria und der Konsul des Vorjahres, Publius Rutilius Rufus, standen da wie versteinert. Gnaeus Mallius Maximus hatte sich krankheitshalber entschuldigen lassen.
»Was ist los?« fragte Marius gereizt.
Da trat Sulla aus der Menge, nicht mehr die kriegerische Erscheinung in silberner Paraderüstung, sondern vorschriftsgemäß mit der Toga bekleidet. Er lächelte breit und hatte die Hand ausgestreckt, jeder Zoll der hilfreiche, aufmerksame Quästor.
»Aber Gaius Marius«, rief er laut, »du hast sicher nicht daran gedacht.« Er faßte Marius an der Schulter und drehte ihn mit einem Griff herum, der unerwartete Stärke verriet. »Geh nach Hause und zieh dich um, Mensch!« flüsterte er.
Marius öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, da sah er geheime Schadenfreude auf dem Gesicht von Metellus Numidicus und besann sich eines anderen. Mit einer theatralischen Geste faßte er sich ins Gesicht und betrachtete dann seine gerötete Handfläche. »Ihr Götter!« rief er, das Gesicht wie im Scherz verzogen. Und an die Senatoren gewandt: »Ich bitte um Vergebung, eingeschriebene Väter. Ihr wißt, ich möchte sobald wie möglich zu den Germanen aufbrechen, aber das ist natürlich lächerlich! Bitte entschuldigt mich. Ich bin gleich wieder zurück. Die Insignien des Feldherrn - auch des triumphierenden Feldherrn - dürfen natürlich nicht in einer Senatssitzung innerhalb des pomerium getragen werden.« Und als er sich über das Asylum in Richtung Arx entfernte, rief er über die Schulter zurück: »Ich danke dir, Lucius Cornelius!«
Sulla löste sich aus der Menge der schweigenden Senatoren und eilte ihm nach.
»Ich muß dir wirklich danken«, sagte Marius, als Sulla ihn einholt hatte. »Aber warum um alles in der Welt ist es denn so wichtig? Jetzt müssen sie eine Stunde im eisigen Wind warten, während ich das Zeug in meinem Gesicht abwasche und die toga praetexta anlege!«
»Ihnen ist es wichtig«, sagte Sulla, »und ich glaube, mir auch.« Seine Beine waren kürzer als die von Marius, er mußte deshalb schnellere Schritte machen. »Du brauchst die Senatoren noch, Gaius Marius, verärgere sie heute also bitte nicht noch mehr! Sie waren schon nicht glücklich, als sie ihre Eröffnungssitzung mit deinem Triumph teilen sollten. Mach es ihnen nicht noch schwerer!«
»Ist ja gut!« Marius klang resigniert. Drei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe hinunter, die von der Arx zur Hintertür seines Hauses führte, und stürmte so heftig durch die Tür, daß er den Türsklaven umrannte und der Mann in Panik zu kreischen begann. »Halt den Mund!« fuhr Marius ihn an. »Es sind nicht die Gallier, und wir leben jetzt und nicht vor dreihundert Jahren.« Dann brüllte er nach dem Hausdiener, seiner Frau und dem Badesklaven.
»Es ist alles bereit«, sagte Julia, die Königin unter den Frauen, und lächelte beschwichtigend. »Ich dachte schon, daß du wie immer in Eile sein würdest. Das Bad ist heiß, die Diener stehen bereit, also ab mit dir, Gaius Marius.« Dann begrüßte sie Sulla mit einem freundlichen Lächeln. »Willkommen, Bruder. Es ist kalt geworden, nicht wahr? Komm doch herein und wärme dich am Kohlenbecken. Ich lasse dir Glühwein bereiten.«
Als seine Schwägerin mit dem Wein zurückkam, sagte Sulla: »Du hast recht, es ist eiskalt.« Er nahm den Becher entgegen. »Ich bin an Africa gewöhnt. Als ich soeben dem großen Mann nachrannte, war mir heiß, aber jetzt sterbe ich wieder vor Kälte.«
Julia setzte sich ihm gegenüber, den Kopf fragend zur Seite geneigt. »Was ist passiert?«
»Du bist Marius eine gute Frau«, sagte Sulla, und Bitterkeit sprach aus seiner Stimme.
»Später, Lucius Cornelius. Erzähl mir zuerst, was passiert ist.«
Sulla lächelte schief und schüttelte den Kopf. »Du weißt, Julia, ich liebe diesen Mann, wie ich einen Mann nur lieben kann, aber manchmal könnte ich ihn dem Henker im Tullianum vorwerfen wie meinen schlimmsten Feind!«
Julia kicherte. »Mir geht es genauso«, sagte sie besänftigend. »Das ist ganz normal. Er ist ein großer Mann, und mit großen Männern ist schwer leben. Was hat er getan?«
»Er wollte in der Kleidung des Triumphators zur Amtsübergabe gehen.«
»0 weh, lieber Bruder! Ich nehme an, er wollte keine Zeit verlieren und hat sie jetzt alle verärgert.« Die Frau war dem großen Mann gegenüber nicht
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