MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Ausbesserungsarbeiten der Straße befehligt. Er war als Kundschafter vorausgeeilt, und er hatte sogar einen jungen Adler mit gebrochenem Flügel gesundgepflegt und gezähmt, so daß der Vogel nach seiner Genesung noch einige Male zu ihm zurückkehrte. Der Tatendrang von Quintus Sertorius war unerschöpflich. Zumindest in dieser Beziehung war er Gaius Marius verwandt.
Sulla hingegen brauchte die dramatischen Situationen. Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, daß dieses Verlangen jetzt, da er ein Senator war, eine Schwäche seines Charakters war, aber mit sechsunddreißig hielt er sich für zu alt, um den so tief verwurzelten Trieb noch ausmerzen zu können. Bis zu jenem öden, endlosen Marsch auf der Via Aemilia Scauri und über die Alpen hatte ihm sein Beruf als Soldat tiefe Befriedigung verschafft. Dramatik und Herausforderung waren sein Element gewesen, wenn es sich um die Dramatik einer Schlacht und die Herausforderung einer Neuordnung von Africa gehandelt hatte. Aber Straßen zu bauen und Kanäle zu buddeln? Deshalb war er nicht nach Gallia Transalpina gekommen! Er hatte anderes vor!
Und im Spätherbst standen wieder Konsulwahlen an. Marius würde durch einen seiner Gegner ersetzt werden, und alles, was er dann in seinem mit so viel Vorschußlorbeeren bedachten zweiten Amtsjahr vorweisen konnte, war eine hervorragend instandgesetzte Straße, die bereits den Namen eines anderen trug. Wie konnte der Mann so ruhig bleiben, so unbesorgt? Als Aquilius angedeutet hatte, daß er als Feldherr abgelöst werden könnte, hatte er nicht einmal reagiert. Was führte der Fuchs aus Arpinum im Schilde? Warum machte er sich keine Sorgen?
Plötzlich hatte Sulla alle diese Fragen vergessen, die ihn so quälten, denn er hatte vor sich eine pikante Szene erspäht, und seine Augen begannen interessiert und amüsiert zu glitzern.
Vor dem Messezelt der Tribunen standen zwei Männer, ins Gespräch vertieft. Oder wenigstens schien es bei flüchtigem Hinsehen so. Für Sulla sah es mehr aus wie die Eröffnungsszene einer komischen Posse. Der größere der beiden Männer war Gaius Julius Caesar, der kleinere Gaius Lusius, ein Neffe von Marius - allerdings nur angeheiratet, wie dieser schnell hinzugefügt hatte.
Ob sich nur Gleichgesinnte sofort erkannten? überlegte Sulla, während er zu den beiden Männern hinüberschlenderte. Caesar schien nicht zu wissen, worauf Lusius hinauswollte, aber seinem Gesicht war anzusehen, daß alles in ihm Alarm schlug.
»Ach, Lucius Cornelius!« plärrte Gaius Lusius. »Gerade habe ich Gaius Julius gefragt, ob er sich im Nachtleben von Arelate auskennt und ob er es, wenn es eines gibt, gemeinsam mit mir erkunden will.«
Caesars langes, schönes Gesicht war zu einer ausdruckslosen, höflichen Maske erstarrt, aber daß er sich aus seiner gegenwärtigen Gesellschaft wegsehnte, merkte Sulla gleich an einem Dutzend Anzeichen: an den unruhigen Augen, die Lusius’ Blick nie lange standhielten und immer wieder zur Seite auswichen, an dem kaum wahrnehmbaren Scharren der Füße in den Soldatenstiefeln, am nervösen Kneten der Finger.
»Vielleicht kennt sich Lucius Cornelius ja besser aus als ich«, sagte Caesar und leitete seine Flucht in die Freiheit dadurch ein, daß er sein ganzes Gewicht auf einen Fuß verlagerte und den anderen ein wenig vorschob.
»Nein, Gaius Caesar, du darfst nicht gehen!« protestierte Lusius. »Je größer die Runde, desto fröhlicher.« Er kicherte.
»Tut mir leid, Gaius Lusius, aber die Pflicht ruft.« Und damit war Caesar verschwunden.
Sulla, der ungefähr Lusius’ Statur hatte, faßte Lusius mit der Hand am Ellbogen und zog ihn ein Stück vom Zelt weg. Dann ließ er den Ellbogen sofort wieder los.
Gaius Lusius war sehr hübsch. Lange Wimpern bedeckten grüne Augen, über die Stirn fiel ein wirrer Schopf dunkelroter Locken, die dunklen Brauen waren fein gezeichnet, und die lange, gerade Nase mit ihrem hohen Rücken hatte griechische Proportionen. Ganz der kleine Apoll, dachte Sulla unbewegt und nüchtern.
Er glaubte nicht, daß Marius den jungen Mann überhaupt persönlich kannte. Das hätte ihm nicht ähnlich gesehen. Marius hatte Gaius Lusius auf Druck der Familie in seine Armee aufgenommen und ihn zum ungewählten Militärtribunen ernannt, was seinem Alter entsprach. Dann hatte er wahrscheinlich vergessen, daß es ihn überhaupt gab - bis der junge Mann sich von selbst in Erinnerung bringen würde, am besten durch eine mutige Tat oder eine andere
Weitere Kostenlose Bücher