MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Hüften. Der junge Caepio zitterte vor Aufregung, obwohl er nur ihr stellvertretender Führer war. Die Kommandos gab Sulla selbst.
»Wir verhalten uns ruhig, bis ich einen Befehl gebe«, sagte Sulla. »Wer sich ohne meinen Befehl von der Stelle rührt, den bringe ich eigenhändig um.«
Auf der rostra war alles für die Wahl bereit. Eine erstaunlich große Zahl von Wählern hatte sich eingefunden, auch die Hälfte der Senatoren war gekommen. Die patrizischen Senatoren standen wie immer auf den Senatstreppen. Catulus Caesar war auch dabei, und er sah so krank aus, daß man ihm einen Stuhl gebracht hatte. Der Zensor Caprarius stand auch auf der Treppe, obwohl er als Plebejer eigentlich auf den Versammlungsplatz gehört hätte. Aber er hatte diesen Platz gewählt, weil er da besser gesehen wurde.
Als Saturninus zum zweiten Mal seine Kandidatur verkündete, jubelte ihm die Menge geradezu hysterisch zu. Die übrigen Kandidaturen wurden wieder stillschweigend zur Kenntnis genommen. Bis als letzter Lucius Equitius kam.
Marius drehte sich zu den Senatstreppen. Er zog die Augenbraue in der gesunden Gesichtshälfte in einer stummen Frage nach oben. Metellus Caprarius antwortete mit einem entschiedenen Kopfschütteln. Eine laute Frage wäre unmöglich gewesen, da die Menge immer noch Lucius Equitius zujubelte, als wollte sie nie mehr aufhören.
Die Herolde bliesen ihre Trompeten. Marius trat vor. Stille. »Dieser Mann, Lucius Equitius, steht für die Wahl als Volkstribun nicht zur Verfügung!« schrie er, so laut er konnte. »Es gibt Zweifel an seinem Status als Bürger. Der Zensor muß das klären, bevor sich Lucius Equitius um ein öffentliches Amt des Senats und des Volkes von Rom bewerben kann!«
Saturninus stieß Marius zur Seite und stand jetzt am äußersten Rand der rostra . »Es gibt keinerlei Zweifel!«
»Ich erkläre im Auftrag des Zensors, daß Zweifel bestehen«, wiederholte Marius ungerührt.
Saturninus wandte sich an die Menge. »Lucius Equitius ist ein Römer, wie ihr alle!« kreischte er. »Schaut ihn euch an, schaut ihn euch doch an! Als ob Tiberius Gracchus vor uns stünde!«
Lucius Equitius aber starrte in eine Ecke, die außerhalb des Blickfeldes der Menge lag, selbst außerhalb des Blickfelds derer, die in der ersten Reihe standen. Dort holten Senatoren und Söhne von Senatoren Messer und Prügel unter ihren Tuniken hervor und bewegten sich langsam auf die rostra zu, als hätten sie es auf Lucius Equitius abgesehen.
Lucius Equitius, der tapfere Veteran, der zehn Jahre in den Legionen gekämpft hatte - zumindest erzählte er es so -, zuckte zurück, drehte sich zu Marius um und umklammerte seinen rechten Arm. »Hilf mir!« schlotterte er.
»Am liebsten wurde ich dir mit dem Stiefelabsatz helfen, du dummer Unruhestifter«, grollte Marius. »Wir müssen heute unter allen Umständen die Wahlen durchführen. Du kannst nicht hier oben bleiben, sonst wird man dich lynchen. Am besten lasse ich dich zu deinem eigenen Schutz in die Zellen der Lautumiae eskortieren, und dort wartest du ab, bis alle nach Hause gegangen sind.«
Zwei Dutzend Liktoren standen auf der Rednerbühne, viele trugen Rutenbündel als Zeichen, daß sie zu Gaius Marius gehörten. Sie nahmen Lucius Equitius in die Mitte und machten sich auf den Weg in Richtung der Lautumiae. Die Menge wich vor ihnen zurück, vor der Autorität der einfachen, purpurumschlungenen Rutenbündel.
Es ist unglaublich, dachte Marius, während er mit den Augen den Weg der Liktoren durch die Menge verfolgte. Wenn man sie jubeln hört, muß man glauben, daß sie diesen Mann inbrünstiger als jeden Gott verehren. Für sie muß es so aussehen, als hätte ich diese Kreatur verhaften lassen. Und was tun sie? Was sie immer tun, wenn sie eine Gruppe von Liktoren mit Rutenbündeln sehen, hinter denen eine purpurgesäumte Toga herstolziert: Sie weichen zurück. Auch nicht für einen Lucius Equitius greifen sie die Macht der Ruten und der purpurgesäumten Toga an. Das ist Rom. Was ist dagegen schon ein Lucius Equitius? Er ist doch nur ein pathetischer Abklatsch von Tiberius Sempronius Gracchus, und den haben sie aus ganzem Herzen geliebt. Sie jubeln nicht für Lucius Equitius! Sie jubeln zum Andenken an Tiberius Gracchus.
Mit einem ganz neuen Gefühl von Stolz beobachtete Gaius Marius, wie sich für die Liktoren das Meer der Menschen, der Römer aus den unteren Schichten, teilte - Stolz auf das Althergebrachte, auf die Bräuche und Traditionen, die auch nach
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