MoR 01 - Die Macht und die Liebe
zielte auf das Herz des Mannes, der ihr so geflissentlich aus dem Weg ging. In den ersten Monaten nach Sullas Rückkehr hatte sie viele Male versucht, ihn zu treffen, und sie hatte einen Korb nach dem anderen bekommen. Zuletzt hatte er sogar gedroht, wenn sie ihn nicht in Ruhe lasse, würde er Rom für immer verlassen.
Ihr großer Plan war langsam gereift. Angefangen hatte alles nach jener ersten Begegnung, als Sulla sie wegen ihres Babyspecks ausgelacht und sie weggescheucht hatte. Sie hatte aufgehört, sich mit Süßigkeiten vollzustopfen. Als Sulla sie nur noch grober behandelt hatte, hatte sie zu hungern begonnen. Zuerst war es ihr sehr schwer gefallen, nach einiger Zeit jedoch konnte sie gar nicht mehr soviel essen, und das nagende Hungergefühl verschwand völlig.
Damit Sulla sie nicht vergaß, traktierte sie ihn mit Briefen.
Ich liebe Dich, und ich werde nie müde werden, es Dir zu sagen. Wenn Briefe der einzige Weg sind, auf dem ich mir bei Dir Gehör verschaffen kann, dann schreibe ich Dir eben Briefe. Dutzende. Hunderte. Tausende. Ich werde Dich mit Briefen zudecken, mit Briefen überschütten, mit Briefen überschwemmen. Ich lebe davon, Dir zu schreiben. Was könnte mir das Essen bedeuten, wenn Du mir die Nahrung verweigerst, nach der mein Herz und mein Geist hungern? Du mein grausamer, gnadenloser und unbarmherziger Geliebter! Wie kannst Du mir fernbleiben? Komm heimlich in mein Zimmer und küß mich, küß mich, küß mich! Aber Du wirst es nicht tun. Ich höre, wie Du das sagst, während ich hier liege, zu schwach, um mein verhaßtes Lager zu verlassen. Womit habe ich Deine Gleichgültigkeit verdient? Sicher sitzt irgendwo unter Deiner schneeweißen Haut ein winziges weibliches Wesen, meine Seele, und die Julilla, die nebenan wohnt und in ihrem schrecklichen, verhaßten Bett liegen muß, ist nur ein leergesaugtes, ausgetrocknetes Trugbild, das täglich schattenhafter und schwächer wird. Eines Tages werde ich verschwinden, und dann wird nur noch das winzige Abbild unter Deiner schneeweißen Haut von mir übrig sein. Komm und besuche mich, sieh, was Du angerichtet hast! Küß mich und küß mich und küß mich, denn ich liebe Dich.
Es war nicht leicht gewesen, beim Essen das richtige Maß zu finden. Obwohl sie sich bemüht hatte, ihr Gewicht auf dem gleichen Stand zu halten, hatte sie immer weiter abgenommen. Und dann waren eines Tages sämtliche Ärzte, die sich monatelang vergebens um sie bemüht hatten, geschlossen zu Gaius Julius Caesar marschiert und hatten empfohlen, sie mit Zwang zu ernähren. Diese unerfreuliche Aufgabe hatten die Ärzte natürlich der Familie überlassen, und niemand erinnerte sich hinterher mehr freiwillig an diese Prozedur. Julilla hatte geschrieen, als würde man sie umbringen, hatte mit ihren schwachen Kräften gekämpft und jeden Bissen wieder erbrochen, herausgespuckt und herausgewürgt. Schließlich hatte Caesar befohlen, dem Schrecken ein Ende zu machen. Die Familie hatte sich zur Beratung zusammengesetzt und einstimmig beschlossen, Julilla nie mehr gewaltsam zu füttern, auch wenn es noch so schlecht um sie stand.
Aber seit jenem Tag wußte die ganze Nachbarschaft Bescheid, was in Caesars Haus vor sich ging. Bisher hatte die Familie geschwiegen, nicht aus Scham, sondern weil Gaius Julius Caesar Klatsch haßte.
Als erste eilte die Nachbarin Clitumna herbei, bewaffnet mit einem Kochrezept. Sie schwor, daß Julilla diese Speise freiwillig zu sich nehmen und auch bei sich behalten werde. Caesar und Marcia lauschten begierig ihren Worten.
»Ihr müßt frische Kuhmilch besorgen«, sagte Clitumna mit wichtiger Miene. Sie genoß es, im Mittelpunkt von Caesars Aufmerksamkeit zu stehen. »Ich weiß, daß sie nicht leicht zu bekommen ist, aber ich glaube, im Camenarum-Tal leben ein paar Bauern, die Milchkühe haben. Dann schlagt ihr ein Hühnerei in eine Tasse Milch und rührt drei Löffel Honig darunter. Das Gemisch schlagt ihr schaumig, und zuletzt fügt ihr eine halbe Tasse starken Wein hinzu. In einem Trinkgefäß aus Glas sieht das besonders schön aus: Sattrosa mit einem gelben Schaumhäubchen. Wenn sie das bei sich behält, bleibt sie am Leben.«
»Wir werden es versuchen«, sagte Marcia mit Tränen in den Augen.
»Meiner Schwester hat es geholfen.« Clitumna seufzte.
Caesar stand auf. »Ich werde sofort jemanden ins Camenarum-Tal schicken.« Er ging hinaus, steckte aber noch einmal den Kopf zur Tür herein. »Und die Hühnereier? Muß es ein extra großes Ei sein
Weitere Kostenlose Bücher