MoR 02 - Eine Krone aus Gras
fragte er.
»Natürlich weiß ich das«, sagte Cornelia Sulla vorsichtig. »Es ist die Pflicht.«
»Breite dich zu dieser Definition weiter aus, Cornelia.«
»Sie ist die Göttin der Pflicht.«
»Welche Art Pflicht?«
»Jede Art Pflicht.«
»Auch die Pflicht, welche Kinder den Eltern schulden? Ist dem nicht so?« fragte Sulla süßlich.
»Ja.«
»Das Familienoberhaupt herauszufordern ist eine gefährliche Sache, Cornelia. Es beleidigt nicht nur die Pietas. Dem Oberhaupt der Familie zu gehorchen, ist auch Gesetz. Ich bin das Oberhaupt der Familie«, sagte Sulla scharf.
»Meine erste Pflicht bin ich mir selbst«, erwiderte sie heroisch.
Sullas Lippen begannen zu zittern. »Das ist sie nicht, Tochter. Ich bin deine erste Pflicht. Du bist in meiner Hand.«
»In deiner Hand oder nicht, Vater. Ich begehe nicht Verrat an mir selbst!«
Die Lippen hörten zu zittern auf, öffneten sich, Sulla brach in donnerndes Gelächter aus. »Geh mir aus den Augen!« sagte er, als er sich wieder gefaßt hatte. Noch immer lachend, schrie er ihr hinterher: »Du tust deine Pflicht oder ich verkaufe dich in die Sklaverei! Das kann ich, keiner hält mich auf!«
»Ich bin schon eine Sklavin!« schrie sie zurück.
Was hätte sie für einen Soldaten abgegeben! Als Sulla wieder ernst genug geworden war, setzte er sich hin und schrieb einen Brief an den griechischen Bürger von Smyrna, Publius Rutilius Rufus.
Und genau das ist passiert, Publius Rutilius. Das unverschämte kleine Ding hat mir den Wind aus den Segeln genommen! Es hat mir keine Wahl gelassen, als Drohungen auszusprechen, die mir, wenn ich sie wahrmache, bei der Wahl zum Konsul gleichzeitig mit Quintus Pompeius ganz und gar nicht helfen. Tot oder in der Sklaverei nützt mir das Mädchen nichts — und auch Quintus Pompeius hat nichts davon, wenn ich Cornelia fessele, sie unter Drogen setze und zur Eheschließung schleppe! Was soll ich tun? Ich frage Dich sehr ernst und völlig verzweifelt — was soll ich tun? Ich erinnere mich daran, daß Du Marcus Aurelius Cotta aus der Zwangslage geholfen hast, als er für Aurelia einen Mann suchte. Hier kannst Du ein weiteres Heiratsproblem lösen, bewunderter und hochgeschätzter Ratgeber.
Ich gebe zu, daß ich angesichts der augenblicklichen Lage nicht innegehalten und Dir geschrieben hätte, wenn ich nicht außerstande wäre, meine Tochter an den Mann zu verheiraten, an den ich sie verheiraten muß. Aber da ich nun einmal angefangen habe, will ich Dir — vorausgesetzt, Du hast eine Lösung für mein Dilemma — auch schreiben, was hier vorgeht.
Als ich unseren Senatsvorsitzenden verließ, hatte auch er einen Brief an Dich begonnen. Über das furchtbare Ereignis mit Gaius Marius brauche ich Dich also nicht zu informieren. Ich beschränke mich darauf, meinen Hoffnungen und Ängsten für die Zukunft Luft zu machen. Ich kann mich immerhin darauf freuen, daß ich die toga praetexta tragen und auf dem elfenbeinernen kurulischen Stuhl sitzen werde, wenn ich Konsul bin, denn der Senat hat die kurulischen Magistrate angewiesen, dem Triumphzug zu Ehren des Sieges von Gaius Marius — und von mir! — über den Marser Silo im vollen Schmuck ihrer Amtsinsignien zu folgen. Hoffentlich ist damit das ganze hohle Getue um Trauer und Bestürzung vorbei.
Im Augenblick sieht es so aus, als hießen die Konsuln des kommenden Jahres Lucius Porcius Cato Licinianus und — welch schrecklicher Gedanke! — Gnaeus Pompeius Strabo. Was für ein furchtbares Gespann! Ein verschrumpelter Katzenarsch und ein aufgeblasener Barbar, der über die eigene Nasenspitze nicht hinaussieht. Ich bekenne, daß es mir ganz rätselhaft ist, wie und warum manche Leute zu ihrem Konsulat kommen. Es reicht bestimmt nicht, daß man ein guter Stadtprätor oder Prätor in einer Provinz gewesen ist. Oder daß die Liste der Kriege, an denen man teilgenommen hat, so lang und ruhmreich ist wie die Stammtafel des Königs Ptolemaios. Ich bin inzwischen zum Schluß gekommen, daß der ausschlaggebende Faktor die Ritter sind. Wenn die Ritter Dich nicht mögen, Publius Rutilius, dann kannst Du Romulus persönlich sein, Du hast bei der Wahl des Konsuls keine Chance. Die Ritter haben Gaius Marius sechs Mal auf den Stuhl des Konsuls gehievt, drei Mal davon \1 \2 Und sie mögen ihn noch immer! Mit ihm florieren eben die Geschäfte. Sicher, sie haben es auch gerne, wenn ein Mann Vorfahren vorweisen kann — aber wählen würden sie ihn deshalb nicht, es sei denn, er macht die Geldbörse weit
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