MoR 02 - Eine Krone aus Gras
überall Blumen, überall reglose, schweigende Menschen. Die Blumen feierten Gaius Marius’ großen Sieg, das Schweigen gemahnte an die Niederlage.
Als die verhängte Sänfte hinter den Soldaten auftauchte, ging ein Raunen durch die Menge:
»Er lebt noch! Er lebt noch!«
Sulla und seine Kohorten sammelten sich auf dem unteren Forum entlang der Rostra, während man Gaius Marius den Clivus Argentarius zu seinem Hause hinauftrug. Der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus erklomm alleine die Rednertribüne.
»Der dritte Gründer Roms lebt, Quirites!« donnerte Scaurus. »Wie immer im Krieg hat er dafür gesorgt, daß sich das Blatt zu Roms Gunsten wendet, und Rom kann nicht dankbar genug sein. Bringt Opfer zu seinem Wohl dar, auch wenn möglicherweise die Zeit gekommen ist, daß Gaius Marius uns verläßt. Es steht ernst um ihn. Aber wir verdanken es ihm, Quirites, daß es um uns jetzt unvergleichlich besser steht.«
Niemand jubelte. Und niemand weinte. Weinen konnte man noch bei seinem Begräbnis, wenn die Hoffnung mit ihm zu Grabe getragen wurde. Als Scaurus die Rednertribüne herabstieg, zerstreute sich langsam die Menge.
»Er stirbt nicht«, sagte Sulla. Er wirkte sehr müde.
Scaurus schnaubte. »Das habe ich auch nie gedacht. Er war noch nicht zum siebten Mal Konsul. Also gibt er sich dem Tod nicht in die Hand.«
»Genau das sagte er auch.«
»Wie? Er spricht noch?«
»Ein wenig. Ihm fehlen nicht die Worte, aber er hat Schwierigkeiten, sie zu formen. Der Feldarzt führt es darauf zurück, daß die linke und nicht die rechte Seite vom Schlaganfall betroffen sei — was das damit zu tun hat, weiß ich nicht. Und der Feldarzt auch nicht. Er sagt lediglich, es sei immer so, wenn man eine Kopfverletzung feststellt. Wenn die rechte Körperhälfte gelähmt ist, ist das Sprachvermögen beeinträchtigt. Wenn die linke Körperhälfte gelähmt ist, bleibt die Sprachfähigkeit erhalten.«
»Das ist ja sehr interessant! Warum hört man so etwas nicht von unseren Ärzten in der Stadt?« fragte Scaurus.
»Wahrscheinlich bekommen sie nicht genug zertrümmerte Schädel zu sehen.«
»Das stimmt allerdings.« Mit einer herzlichen Geste nahm Scaurus Sulla beim Arm. »Komm mit zu mir nach Hause, Lucius Cornelius. Trink Wein und erzähl genau, was passiert ist. Ich dachte, du seist noch mit Lucius Julius in der Campania.«
Sulla konnte seinen Widerwillen nicht ganz verbergen. »Gehen wir doch lieber zu mir nach Hause, Marcus Aemilius. Ich stecke noch immer in der Rüstung, und es ist heiß.«
Scaurus seufzte. »Es ist Zeit, daß wir beide vergessen, was vorgefallen ist vor so vielen Jahren.« Er meinte aufrichtig. »Meine Frau ist älter und ruhiger geworden, und sie hat viel zu tun mit den Kindern.«
»Gut — dann gehen wir zu dir.«
Sie stand im Atrium zum Empfang bereit und wartete so gepannt wie alle in Rom auf Neuigkeiten, wie es Gaius Marius ging. Mit ihren achtundzwanzig Jahren hatte sie das Glück, daß ihre Schönheit eher größer wurde als abnahm, eine dunkle Schönheit, kostbar wie ein Pelz, wenngleich die Augen, die Sulla anblickten, grau schimmerten wie das Meer an einem bewölkten Tag.
Sulla entging nicht, daß sie vor Scaurus, der sie mit sichtlich ehrlicher und ungetrübter Zuneigung ansah, Angst hatte und ihm nicht recht traute.
»Willkommen, Lucius Cornelius«, sagte sie ohne Gefühlsregung.
»Ich danke dir, Caecilia Delmatica.«
»In deinem Arbeitszimmer stehen Erfrischungen bereit, mein Gemahl.« Auch zu Scaurus sprach sie gleichgültig. »Wird Gaius Marius sterben?«
Sulla antwortete. Nach dem ersten Moment der Überraschung lächelte er, es war ganz anders als das letzte Mal beim Abendessen bei Gaius Marius. »Nein, Caecilia Delmatica. Mit Gaius Marius ist es noch nicht vorbei, soviel kann ich versprechen.«
Sie seufzte erleichtert. »Dann verlasse ich euch.«
Beide Männer blieben, bis sie verschwunden war, im Atrium stehen. Dann geleitete Scaurus Sulla in sein Empfangszimmer.
»Willst du den Oberbefehl auf dem Kriegsschauplatz gegen die Marser?« fragte Scaurus und reichte Sulla Wein.
»Ich bezweifle, daß der Senat ihn mir geben würde, Princeps Senatus.«
»Ehrlich gesagt, ich auch. Aber willst du ihn?«
»Nein, ich will ihn nicht. Mein Bereich in diesem Krieg war, abgesehen von dem Spezialeinsatz für Gaius Marius, das ganze Jahr, über die Campania. Ich kämpfe lieber weiterhin an der Front, die ich kenne. Lucius Julius erwartet meine Rückkehr.« Sulla wußte schon genau,
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