MoR 02 - Eine Krone aus Gras
geschnitzt ist. Die erste Erfahrung hat mich etwas gelehrt, Lucius Cornelius: Gleich wie berühmt unsere Vorfahren gewesen sein mögen, am Ende sind wir immer von den Kindern abhängig.«
Sulla verzog das Gesicht. »Mein Sohn ist auch tot, und ich habe keinen zweiten.«
»Auf den Fall war es auch gemünzt.«
»Glaubst du nicht, daß alles Zufall ist, Princeps Senatus?«
»Nein, das glaube ich nicht. Meine Aufgabe war, Gaius Marius im Zaum zu halten. Dazu brauchte mich Rom, und ich war für Rom zur Stelle. Ich halte dich in letzter Zeit eher für einen Marius als für einen Scaurus. Und ich sehe keinen am Horizont, der dich im Zaum halten könnte. Das könnte das Gemeinwohl stärker bedrohen als Tausende Männer vom Schlag eines Saturninus«, sagte Scaurus.
»Ich verspreche dir, Marcus Aemilius, daß von mir keine Gefahr für Rom ausgeht.« Sulla dachte über seine Worte nach und schränkte sie ein. »Für dein Rom, meine ich. Nicht für das Rom des Saturninus.«
»Das hoffe ich aufrichtig, Lucius Cornelius.«
Sie gingen in Richtung Senat weiter.
»Ich vermute, Cato Lininianus hat beschlossen, den Feldzug in der Campania zu führen«, sagte Scaurus. »Er ist schwieriger im Umgang als Lucius Julius Caesar, genauso unsicher, aber arroganter.«
»Der macht mir keinen Ärger«, erwiderte Sulla ruhig. »Gaius Marius hat ihn ein Erbsengehirn genannt und seinen Feldzug eine Operation von der Größe einer Erbse. Ich weiß, was man mit Erbsen macht.«
»Was denn?«
»Man zertritt sie.«
»Du weißt, daß sie dir das Kommando nicht geben werden. Ich habe es versucht.«
»Das ist gar nicht wichtig.« Sulla lächelte. »Ich übernehme das Kommando, wenn ich die Erbse zertreten habe.«
Bei jedem anderen wäre es Prahlerei gewesen, und Scaurus hätte gebrüllt vor Lachen. Bei Sulla war es unheilverheißende Voraussicht, und Scaurus erschauerte.
Da der schmächtige Marcus Tullius Cicero am dritten Tag des Monats Januar das siebzehnte Lebensjahr vollenden würde, machte er sich sofort nach den Zenturiatswahlen auf den Weg zur Erfassungsstelle des Militärs auf dem Marsfeld. Der einst vor Selbstbewußtsein strotzende junge Bursche, der so eng mit Sullas Sohn befreundet gewesen war, hatte inzwischen Bescheidenheit gelernt. Mit fast siebzehn Jahren glaubte er, daß sein Stern schon aufgegangen war und wieder verglühte, ein kurzes Funkeln am Horizont, das von der schrecklichen Flamme des Bürgerkrieges überstrahlt worden war. Wo er einst im Mittelpunkt einer großen, staunenden Menge gestanden hatte, stand jetzt keiner mehr. Und vielleicht würde auch nie wieder jemand dort stehen. Alle Gerichtshöfe außer dem des Quintus Varius waren geschlossen. Der Stadtprätor, der sie hätte beaufsichtigen sollen, regierte in Abwesenheit der Konsuln Rom. Da die Italiker sich so gut schlugen, schienen die Aussichten gering, daß die Gerichte je wieder geöffnet würden. Außer Scaevola dem Augur, jetzt neunzig und im Ruhestand, waren alle Ratgeber und Lehrer des Cicero verschwunden. Crassus Orator war tot, der Rest war vom Malstrom des Militärs fortgerissen worden, dem Vergessen anheimgefallen.
Am meisten erschreckte Cicero, daß sich offenbar keiner im geringsten für ihn und sein Geschick interessierte. Die wenigen bedeutenden Männer, die er in Rom noch kannte, waren so beschäftigt, daß er sie eigentlich nicht behelligen konnte. Er hatte sie trotzdem behelligt, weil er sich und seine Misere für einzigartig hielt, hatte aber bei keinem, vom Senatsvorsitzenden Scaurus bis zu Lucius Caesar, ein offenes Ohr gefunden. Er war ein unbedeutender Wurm, ein protziger Schönredner auf dem Forum und noch keine siebzehn Jahre alt. Warum sollten sich große Männer für ihn interessieren? Wie sein Vater — jetzt Klient eines Toten — gesagt hatte: Man durfte nicht darauf hoffen, daß man bevorzugt würde, durfte nicht klagen und mußte das Schicksal nehmen, wie es kam.
Als er die Bude an der Via Lata am Marsfeld erreicht hatte, sah er nicht ein bekanntes Gesicht; ein paar ältere Hinterbänkler aus dem Senat erfüllten sichtlich widerstrebend ihre lästige und doch wichtige Aufgabe. Als Cicero an die Reihe kam, blickte nur der Vorsitzende der Gruppe auf, die übrigen waren mit ihren riesigen Papierrollen beschäftigt. Alles andere als begeistert musterte der Vorsitzende Ciceros unterentwickelten Körper, der unter dem riesigen kürbisförmigen Hut noch seltsamer wirkte.
»Erster Name und Familienname?«
»Marcus
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