MoR 02 - Eine Krone aus Gras
dir, Marcus. Der irrsinnige Ehrgeiz! Man muß wissen, wo sein Platz ist, sage ich immer. Aber auf mich hört ja keiner. Du stachelst deinen Vater bewußt an, daß er unser gutes Geld zum Fenster hinauswirft, nur damit du eine piekfeine Ausbildung bekommst — aber aus dir wird nie ein Gaius Marius, merk dir das! Ich habe noch nie einen Burschen kennengelernt, der so ungeschickt war. Und was fängt man mit Homer und Hesiod an, kannst du mir das erklären? Papier kann man nicht essen, und Karriere macht man damit auch nicht. Und ich quäle mich herum, bloß weil. . .«
Es reichte. Marcus Tullius Cicero preßte die Hände auf die Ohren und floh in sein Arbeitszimmer.
Das war eigentlich der Raum seines Vaters, aber er hatte ihn dem glänzenden, vielversprechenden Sohn zur ausschließlichen Nutzung überlassen. Ursprünglich war der Vater sehr ehrgeizig gewesen, hatte seine Ambitionen dann aber auf den Sohn übertragen. Ein solches Wunderkind zu Hause in Arpinum lassen? Niemals! Bis zu Ciceros Geburt war Gaius Marius der einzige berühmte Mann aus Arpinum gewesen, und die Sippe der Tullius Cicero stufte sich selbst ein gutes Stück höher ein als die weniger intelligente Sippe des Marius. Wenn sie einen Feldherrn und Mann der Tat hervorbrachte, würde aus der Sippe der Tullius Cicero ein Denker hervorgehen. Männer der Tat kamen und gingen, Denker waren unsterblich.
Der noch unfertige Denker schloß die Tür zum Arbeitszimmer, versperrte der Mutter mit dem Riegel den Zutritt und brach in Tränen aus.
An seinem Geburtstag kehrte Cicero mit zitternden Knien zu dem Bretterverschlag auf dem Marsfeld zurück. Diesmal fiel die Befragung sehr viel kürzer aus als beim ersten Mal.
»Ganzer Name einschließlich Beiname?«
»Marcus Tullius Cicero der Jüngere.«
»Tribus?«
»Cornelia.«
»Klasse?«
»Erste.«
Unter den Rollen mit den Befehlen für die Männer, die an diesem Tag eingezogen wurden, suchte man Ciceros Rolle heraus; er sollte die Rolle dem kommandierenden Offizier überreichen. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für das Praktische hatten die Römer die Möglichkeit bedacht, daß mündliche Befehle ignoriert werden konnten. Eine Abschrift war bereits ins Ausbildungslager nach Capua unterwegs.
Der Vorsitzende des Ausschusses las die ausführlichen Anmerkungen zu Ciceros Befehlen durch und blickte dann kühl auf.
»Tja, Marcus Tullius Cicero der Jüngere, man hat für dich noch rechtzeitig eine Eingabe gemacht. Ursprünglich hatten wir dich für den Dienst als Legionär in Capua vorgesehen. Nun ist aber ein besonderes Gesuch des Senatsvorsitzenden eingegangen, dich mit Aufgaben im Stab eines Konsuls zu betrauen. Du bist zum Stab des Gnaeus Pompeius Strabo abkommandiert. Melde dich morgen früh bei Tagesanbruch in seinem Haus zu Instruktionen. Dem Ausschuß ist bekannt, daß du noch keine militärische Ausbildung hast. Er schlägt vor, daß du die verbleibende Zeit, bis du deine Pflichten erfüllst, zum Exerzieren auf dem Marsfeld nutzt. Das ist alles. Wegtreten.«
Vor Erleichterung zitterten Cicero die Knie noch mehr. Er nahm die kostbare Rolle an sich und eilte davon. Aufgaben im Stab! Alle Götter sollten ihre Gnade über dem Senatsvorsitzenden ausgießen! Cicero war unendlich dankbar. Er wollte Gnaeus Pompeius unschätzbare Dienste leisten — in seiner Armee als Geschichtsschreiber dienen, ihm Reden verfassen, und er würde nie das Schwert ziehen müssen!
Cicero dachte nicht daran, auf dem Marsfeld zu exerzieren. Mit fünfzehn hatte er es einmal versucht, und schon damals hatten ihm flinke Beine, geschickte Hände, das wachsame Auge und die Geistesgegenwart gefehlt. Während der kurzen Zeit der Ausbildung mit dem Holzschwert hatte er die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber anders als auf dem Forum hatten ihn keine bewundernden Blicke begleitet. Vielmehr hatten sich die Zuschauer vor Lachen gebogen, wie er auf dem Marsfeld herumhampelte. Mit der Zeit wurde er zur Zielscheibe des allgemeinen Spottes. Man lästerte über seine hohe schrille Stimme, äffte sein wieherndes Lachen nach, zog seine Gelehrsamkeit in den Schmutz und riß Possen über seine geistige Reife. Marcus Tullius Cicero gab seine militärische Ausbildung auf und schwor sich, nie wieder eine Waffe anzufassen, ob aus Holz oder nicht. Kein Fünfzehnjähriger macht sich gerne zum Gespött der Leute, und dieser Fünfzehnjährige hatte sich zudem bereits im Ruhm des erwachsenen Mannes gesonnt. Er war doch in jeder Hinsicht etwas
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