MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Besonderes.
Einige Männer seien eben nicht zu Soldaten geschaffen, sagte er sich seither, und er gehörte zu dieser Sorte. Das war nicht Feigheit! Eher ein verheerender Mangel an körperlichen Fähigkeiten, den man ihm nicht als angeborene Charakterschwäche ankreiden durfte. Die Knaben seines Alters waren in ihrer Dummheit den Tieren nur wenig überlegen und nur auf ihren Körper stolz, nie auf ihren Geist. Wußten sie nicht, daß der Geist noch lange nach dem Verfall des Körpers eine Zier blieb? Warum wollten sie nichts anderes? Warum war es so erstrebenswert, daß man mit dem Speer genau die Mitte der Zielscheibe traf oder einer Strohpuppe den Kopf abhauen konnte? Der kluge Cicero wußte, daß Zielscheiben und Strohpuppen der ferne Spiegel des Schlachtfelds waren, dessen grauenhafte Wirklichkeit viele der jungen Symboltöter noch kennenlernen würden.
In die toga virilis gehüllt, stellte sich Cicero am nächsten Morgen im Hause von Gnaeus Pompeius Strabo an der dem Forum zugewandten Seite des Palatin vor. Am liebsten hätte er den Vater bei sich gehabt, als er die vielen Hundert Männer sah. Einige erkannten ihn als das Wunderkind der Rhetorik wieder, aber keiner machte einen Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die Menge drängte ihn in eine besonders düstere Ecke von Pompeius Strabos großem Atrium. Er vertrieb sich die Zeit damit, daß er beobachtete, wie die Menge langsam zusammenschmolz, während er stundenlang darauf wartete, daß jemand Notiz von ihm nahm. Augenblicklich war der neue erste Konsul Roms wichtigster Mann, und sehr viele Leute rissen sich darum, ihm eine Unterredung oder Gunst abzuringen. Zudem hatte er ein Heer von Klienten, allesamt Picenter. Wie viele davon in Rom wohnten, wurde Cicero erst beim Anblick des dichten Gedränges in Pompeius Strabos Haus klar.
Schließlich waren noch ungefähr hundert Mann übriggeblieben, und Cicero bemühte sich, Blickkontakt mit einem der sieben Sekretäre aufzunehmen. Da kam ein junger Bursche etwa in seinem Alter auf ihn zu, lehnte sich an die Wand und begutachtete ihn flüchtig. Kühle, gelassene Augen glitten über ihn hinweg, die schönsten Augen, die der braunäugige Cicero je gesehen hatte. Sie waren so weit geöffnet, als drückten sie ein dauerndes Staunen aus, und ihre Farbe war ein reines, tiefes und einzigartig leuchtendes Azur. Das dichte goldblonde Haar hatte zwei Besonderheiten: eine aufragende Tolle und eine Haarlocke, die mitten in die breite Stirn fiel. Diese ausgefallene Haartracht bekrönte ein frisches, ziemlich dreistes Gesicht, das überhaupt nichts Römisches hatte. Der Mund war schmal, die Wangenknochen breit, die Stubsnase kurz, das Kinn eckig, die rosige Haut leicht gesprenkelt und die Brauen und Wimpern so golden wie das Haupthaar. Alles in allem ein sehr einnehmendes Gesicht, und nach der gründlichen Untersuchung lächelte der junge Bursche so anziehend, daß Cicero gewonnen war.
»Wer bist du denn?« fragte er.
»Marcus Tullius Cicero. Und wer bist du?«
»Ich bin Gnaeus Pompeius.« »Strabo?«
Der junge Pompeius lachte aufrichtig. »Schiele ich vielleicht, Marcus Tullius?«
»Nein. Aber bekommt man nicht normalerweise den Beinamen seines Vaters?« fragte Cicero.
»Ich nicht«, sagte Pompeius. »Ich werde mir meinen Beinamen selbst verdienen. Und ich weiß auch schon welchen.«
»Welchen?«
»Magnus.«
Cicero lachte sein wieherndes Lachen. »>Der Große?< Ist das nicht etwas hoch gegriffen? Übrigens gibt man sich seinen Beinamen nicht selbst. Das tun die anderen.«
»Ich weiß. Und sie werden mir diesen Beinamen geben.«
Cicero, dem es gewiß nicht an Selbstbewußtsein mangelte, verschlug es fast den Atem. »Ich wünsche dir Glück«, sagte er.
»Was tust du hier?«
»Ich bin als Kadett zum Stab deines Vaters abkommandiert.«
Pompeius pfiff. »Bei Pollux! Du wirst ihm nicht gefallen!«
»Warum?«
Pompeius’ Augen verloren ihren freundlichen Glanz und wurden wieder gleichgültig. »Du bist ein Schwächling.«
»Vielleicht bin ich ein Schwächling, Gnaeus Pompeius. Aber im Kopf bin ich besser als die anderen!« stieß Cicero wütend hervor.
»Auf meinen Vater macht das keinen Eindruck«, sagte der Sohn und blickte selbstgefällig auf seinen kräftigen Körper mit den breiten Schultern.
Cicero zog sich auf ein klägliches Schweigen zurück. Wieder befiel ihn diese tiefe Schwermut, die er schon öfter gekostet hatte als die meisten Menschen, selbst wenn sie viel älter waren als er. Er schluckte,
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