MoR 02 - Eine Krone aus Gras
belegte. Lediglich sechshundert Repräsentanten der Klassen versammelten sich, die meisten davon Senatoren oder Ritter, und wählten pflichtschuldig die beiden einzigen Männer zu Konsuln, die auf der Kandidatenliste standen: Lucius Cornelius Cinna und — in absentia — Gaius Marius. Die Form war gewahrt, die Wahl war rechtmäßig. Gaius Marius war zum siebten Mal römischer Konsul, und er war zum vierten Mal in absentia gewählt worden. Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Cinna hatte wenigstens eine kleine Genugtuung: Er war der erstgewählte Konsul.
Dann kamen die Prätorwahlen. Sechs Männer kandidierten für die sechs Ämter, aber wieder wurde die Form gewahrt, und die Wahl konnte als legal bezeichnet werden. Rom hatte wieder ordentlich gewählte Magistraten, auch wenn es an Kandidaten gemangelt hatte. Nun konnte Cinna darangehen, den Schaden zu beheben, der in den letzten Monaten angerichtet worden war, einen Schaden, der behoben werden mußte, da Rom sich nach dem langen Krieg gegen die Italiker und dem Verlust des Ostens ungeordnete innere Verhältnisse nicht länger leisten konnte.
Die Stadt hielt still wie ein Tier, das sich in eine Ecke verkrochen hat. Aber die Bürger beobachteten mißtrauisch, wie sich Ende Dezember die Armeen, von denen sie umlagert waren, umgruppierten und -verteilten. Die samnitischen Kontingente marschierten nach Aesernia und Nola zurück. Gaius Marius hatte Appius Claudius Pulcher gnädigerweise erlaubt, mit seiner alten Legion die Belagerung von Nola wieder aufzunehmen. Zwar befehligte Sertorius diese Legion, aber er überredete seine Männer, wieder einem Kommandanten zu dienen, den sie verachteten, und sah sie ohne Bedauern nach Campania abmarschieren. Viele der Veteranen, die bereit gewesen waren, ihrem alten Feldherrn zu helfen, kehrten gleichfalls nach Hause zurück, darunter auch die zwei Kohorten, die Marius von Kerkena nach Italien gefolgt waren, als Marius gehört hatte, daß Cinna aktiv wurde.
Mit seiner übriggebliebenen Legion lag Sertorius auf dem Marsfeld wie eine Katze, die tiefen Schlaf vortäuscht. Von Gaius Marius, der eine fünftausend Mann starke Leibwache aus Sklaven und Freigelassenen zurückbehalten hatte, hielt er sich fern. Was führte der schreckliche Marius im Schilde? grübelte Sertorius. Marius hatte absichtlich jedes anständige Element aus seiner Armee entfernt und nur die Männer behalten, die bereitwillig jede Ungeheuerlichkeit ausführen würden.
Gaius Marius zog schließlich am Neujahrstag als rechtmäßig gewählter Konsul in Rom ein. Er ritt auf einem wunderbaren Schimmel und war in eine purpurgesäumte Toga gekleidet; auf dem Kopf trug er einen Kranz aus Eichenblättern. An seiner Seite ritt der riesenhafte kimbrische Sklave Burgundus in einer prächtigen, goldenen Rüstung. An seinem Gürtel hing ein Schwert, und er ritt auf einem der gewaltigen Pferde des germanischen Stammes der Bastarner, das Hufe so groß wie Eimer hatte. Hinter Marius folgten fünftausend Sklaven und Freigelassene. Alle trugen Kampfkleidung aus doppelt genähtem Leder und Schwerter — sie waren keine Soldaten, aber auch keine Zivilisten.
Zum siebten Mal Konsul! Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. In Gaius Marius’ Kopf gab es nur Raum für diesen Gedanken, als er zwischen den jubelnden und weinenden Menschen hindurchritt. Welche Rolle spielte es denn, ob er erst- oder zweitgewählter Konsul war, wenn das Volk seinen Helden so leidenschaftlich, so blind willkommen hieß? Machte es den Menschen etwas aus, daß er zu Pferd kam, nicht zu Fuß? Machte es ihnen etwas aus, daß er vom Tiber kam und nicht von seinem Haus? Machte es ihnen etwas aus, daß er in der Nacht nicht vor dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf die Omen gewartet hatte? Nein, überhaupt nicht! Er war Gaius Marius. Was für andere, geringere Männer galt, galt nicht für ihn.
Gaius Marius zog seinem vorherbestimmten Schicksal entgegen. Im unteren Teil des Forum Romanum wartete Lucius Cornelius Cinna an der Spitze einer Prozession auf ihn, die aus Senatoren und einigen bekannteren Rittern bestand. Burgundus half Marius von seinem großen, schneeweißen Pferd herab, ordnete die Falten der Toga seines Herrn und blieb neben ihm, als Marius sich vor Cinna stellte.
»Auf, Lucius Cinna, bringen wir die Sache hinter uns!« knurrte Marius laut und setzte sich in Bewegung. »Ich habe das schon sechsmal gemacht und du auch schon einmal. Das ist kein Triumphzug! «
»Einen Augenblick!« brüllte der
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