MoR 02 - Eine Krone aus Gras
sie in ihrer Kladde dieselben Zahlen addiert, und sie war jedesmal zu einem anderen Ergebnis gekommen, denn immer wieder hatte sie sich die Bilder vorgestellt, die man ihr beschrieben hatte und die nun ihr Sohn zu sehen bekommen würde — die vor der Rostra aufgespießten Köpfe, die Leichen und den verrückten alten Mann.
Der junge Caesar hatte ungeduldig auf eine Antwort gewartet; jetzt gab er sie selbst. »Ich soll nie in den Krieg ziehen dürfen, damit ich nicht sein Rivale werde. Ich werde nun nie der vierte Gründer Roms genannt werden. Statt dessen soll ich den Rest meiner Tage damit verbringen, Gebete in einer Sprache zu sprechen, die niemand mehr versteht. Ich soll den Tempel ausfegen, soll jedem Durchschnittsbürger zur Verfügung stehen, der sein Haus reinigen lassen will, und soll lächerliche Kleider tragen!« Er hatte die Hände ausgestreckt und griff in einer ohnmächtigen Geste in die Luft. Seine Hände waren kräftig, mit langen Fingern und auf eine männliche Art schön. »Der alte Mann hat mich um alles gebracht, was mir nach meiner Abstammung zustünde, und alles nur, um seine eigene Bedeutung in den Geschichtsbüchern zu sichern!«
Weder Mutter noch Vater wußten, was im Kopf des jungen Caesar vor sich ging. Er hatte ihnen auch nicht die Ehre angetan, ihnen seine Zukunftsträume zu schildern. Während sie seiner leidenschaftlichen Rede zuhörten, überlegten beide, wie sie ihrem Sohn klarmachen konnten, daß er sich Marius’ Anweisungen fügen mußte. Er mußte einsehen, daß er unter diesen Umständen nur noch versuchen konnte, das Beste aus seinem Schicksal zu machen.
Sein Vater wählte einen strengen, mißbilligenden Ton. »Mach dich doch nicht lächerlich!« sagte er.
Die Mutter schloß sich dem Vater an, denn das hatte sie dem Jungen immer beizubringen versucht — Pflichtgefühl, Gehorsam, Bescheidenheit, Zurückhaltung — all die römischen Tugenden, die er nicht besaß. Deshalb wiederholte sie: »Mach dich nicht lächerlich!« Doch sie fügte hinzu: »Glaubst du denn wirklich, daß du dich mit Gaius Marius messen kannst? Das kann niemand!«
»Mit Gaius Marius messen?« fragte der Sohn und richtete sich hoch auf. »Ich werde ihn so überstrahlen, wie die Sonne den Mond überstrahlt!«
»Wenn du das denkst«, sagte sie, »dann hat Gaius Marius richtig gehandelt, dir das ehrenvolle Priesteramt zu übertragen. Es ist der Anker, denn du so dringend brauchst. Deine Stellung in Rom ist dir sicher.«
»Ich will aber keine sichere Stellung!« rief der Junge. »Ich will um meine Stellung kämpfen! Ich will, daß meine Stellung die Folge meiner eigenen Anstrengungen ist! Welche Genugtuung hätte ich denn von einem Amt, das älter ist als Rom und das mir von jemandem auferlegt wird, der dadurch nur seinen eigenen Ruf retten will?«
Caesar sah seinen Sohn streng an. »Du bist undankbar«, stellte er fest.
»Ach, Vater! Wie kannst du nur so starrköpfig sein? Nicht mich mußt du tadeln, sondern Gaius Marius! Ich bin, was ich immer gewesen bin! Ich bin nicht undankbar! Gaius Marius hat mir eine Last auferlegt, von der ich mich nun irgendwie befreien muß. Er hat nichts getan, wofür ich ihm dankbar sein müßte! Seine Motive sind nicht nur schmutzig, sondern auch eigensüchtig.«
»Wann hörst du endlich auf, dich selbst zu überschätzen?« rief Aurelia verzweifelt. »Mein Sohn, seit du ein Kind warst, das noch nicht laufen konnte, habe ich dir gesagt: Du bildest dir zuviel ein, dein Ehrgeiz ist anmaßend!«
»Spielt das eine Rolle?« fragte der Junge, der immer ungeduldiger wurde. »Mutter, ich bin der einzige, der das beurteilen kann! Und ich kann das Urteil erst am Ende meines Lebens fällen — nicht schon jetzt, bevor es richtig begonnen hat! Und jetzt kann es gar nicht beginnen!«
Caesar entschloß sich, die Taktik zu ändern. »Wir haben in dieser Sache keine Wahl. Du warst auf dem Forum dabei, du weißt also, was sich ereignete. Wenn es selbst der Konsul Lucius Cinna für besser hält, allem zuzustimmen, was Gaius Marius sagt, kann ich mich nicht dagegen stellen! Ich muß ja nicht nur an dich denken, sondern auch an deine Mutter und an die Mädchen. Gaius Marius ist nicht mehr der alte. Er ist geisteskrank. Aber er hat Macht.«
»Ja, das sehe ich«, sagte der junge Caesar ruhiger. »In dieser Beziehung habe ich keinen Ehrgeiz, ihn zu übertreffen oder es ihm auch nur gleichzutun. Ich werde nie so handeln, daß Blut in den Straßen Roms fließen muß.«
Aurelia war praktisch
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