MoR 02 - Eine Krone aus Gras
völlig gleichgültig, wer die Leichen sieht, nur sein eigener Sohn soll sie nicht sehen. Wir können also über das Forum gehen. Die Köpfe sind verschwunden, das Blut wurde weggewaschen, und die Leichen wurden in eine Grube geworfen. Als ob der arme Junge nicht wüßte, was sein Vater angerichtet hat!«
Caesar sah den kleinen Mann geradezu ehrfürchtig an. »Unterhältst du dich wirklich mit diesen furchtbaren Menschen?« fragte er.
»Natürlich!« sagte Lucius Decumius verächtlich. »Sechs von ihnen waren — oder genauer gesagt sind — Mitglieder meines Vereins!«
»Das erklärt vieles«, sagte Caesar zweideutig. »Also los, gehen wir.«
Die Hochzeitsfeier im Haus des Lucius Cornelius Cinna war eine confarreatio, die feierlichste Form der patrizischen Eheschließung, die als ein Bund für das ganze Leben galt. Die kleine Braut war selbst für ein Mädchen ihres Alters sehr klein und weder besonders intelligent noch frühreif. Man hatte sie völlig unpassend in grellgelbe Kleider gewickelt und mit Wolle und Amuletten behängt. Sie ließ die Zeremonie mit der Begeisterung einer Puppe über sich ergehen. Als man den Schleier von ihrem Gesicht hob, sah der junge Caesar ein kindliches Gesicht mit Grübchen in den Wangen, sanft wie eine Blume und mit riesigen, dunklen Augen. Sie tat ihm leid, und er lächelte sie auf seine charmante Art an. Die Grübchen vertieften sich, die Augen beteten ihn an.
Die Kinder waren in einem Alter verheiratet worden, in dem die Eltern unter normalen Umständen allenfalls erste Überlegungen über eine Verlobung angestellt hätten. Die beiden Familien führten das Paar zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, dessen Statue einfältig auf sie herablächelte.
Im Tempel befanden sich noch andere frischverheiratete Paare. Cinnillas ältere Schwester Cornelia Cinna war am Tag zuvor in aller Eile mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus verheiratet worden. Die Eile hatte nicht die üblichen Gründe. Vielmehr hatte es Gnaeus Domitius Ahenobarbus für ratsam gehalten, die Tochter von Gaius Marius’ Mitkonsul zu heiraten, um seinen Kopf zu retten. Sie war ihm ohnehin versprochen gewesen. Der junge Marius war am Abend zuvor in Rom angekommen und hatte in der Morgendämmerung die Tochter des Pontifex Maximus Scaevola geheiratet, die Mucia Tertia genannt wurde, um sie von ihren beiden ältlichen Basen zu unterscheiden. Keines der beiden Paare machte einen sonderlich glücklichen Eindruck; dies galt vor allem für den jungen Marius und Mucia Tertia, die sich erst bei ihrer Hochzeit kennengelernt hatten und keine Gelegenheit bekommen würden, ihre Ehe zu vollziehen, denn der junge Marius mußte sofort nach den Feierlichkeiten wieder zu seinem Heer zurückkehren.
Natürlich hatte er von dem Massaker gehört, das sein Vater angerichtet hatte, und er hatte erwartet, das ganze Ausmaß des Blutbades zu sehen, wenn er nach Rom kam. Marius hatte seinen Sohn zu einer kurzen Unterredung in sein Lager auf dem Forum befohlen.
»Du meldest dich in der Morgendämmerung im Haus des Quintus Mucius Scaevola zu deiner Hochzeit«, hatte er ihm mitgeteilt. »Ich werde leider nicht dabeisein können, da ich zu beschäftigt bin. Du wirst zusammen mit deiner Frau an der Amtseinführung des neuen Jupiterpriesters teilnehmen — wie ich höre, eine großartige Veranstaltung — und anschließend auch am Festmahl im Haus des Priesters. Sobald das Mahl beendet ist, kehrst du zu deinem Heer nach Etruia zurück.«
»Wie? Darf ich nicht einmal die Ehe vollziehen?« fragte der junge Marius, wobei er versuchte, unbekümmert zu klingen.
»Tut mir leid, mein Sohn, das muß warten, bis hier wieder alles in Ordnung ist«, antwortete Marius. »Du kehrst sofort zum Heer zurück!«
Etwas in Marius’ Miene ließ den jungen Marius zögern, dem alten Mann die Frage zu stellen, die er ihm stellen mußte. Doch holte er tief Luft und stellte die Frage doch. »Vater, kann ich jetzt zu Mutter gehen? Darf ich zu Hause übernachten?«
Trauer, Schmerz und Furcht blitzten in Gaius Marius’ Augen auf, und seine Lippen bebten. »Ja.« Er wandte sich ab.
Die Begegnung mit seiner Mutter war der schlimmste Augenblick im Leben des jungen Marius. Ihre Augen! Wie alt sie aussah! Wie geschlagen. Wie traurig. Sie schien völlig in sich selbst versunken und nahm nur zögernd zur Kenntnis, was sich in der Außenwelt abspielte.
»Ich will es wissen, Mutter! Was hat er getan?«
»Was kein vernünftiger Mann tun könnte, mein Sohn.«
»Ich
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