MoR 02 - Eine Krone aus Gras
veranlagt, aber ihr Einfühlungsvermögen war begrenzt. Deshalb glaubte sie, die Krise sei vorüber, und nickte. »Na also, mein Sohn, so ist es schon viel besser. Ob es dir paßt oder nicht, du wirst Jupiterpriester.«
Der junge Caesar sah mit schmalen Lippen und ausdruckslosen Augen vom abgehärmten Gesicht seiner Mutter zum schönen, aber müden Gesicht seines Vaters. Er entdeckte kein Mitgefühl, und schlimmer noch, er entdeckte kein Verständnis. Daß umgekehrt auch er die Zwangslage seiner Eltern nicht verstand, war ihm nicht bewußt.
»Kann ich jetzt bitte gehen?« fragte er.
»Ja, aber nur, wenn du versprichst, den Ardiaiern aus dem Weg zu gehen, und wenn du dich nicht weiter als bis zu Lucius Decumius’ Wohnung entfernst«, sagte Aurelia.
»Ich will nur zu Gaius Matius.«
Der Junge ging durch die Tür, die zum Garten und zum offenen Innenhof des Mietshauses führte. Er war nun größer als seine Mutter und sehr schlank. Seine Schultern schienen zu breit für seinen Körper.
»Armer Junge«, sagte Caesar, der seinen Sohn wenigstens zum Teil verstand.
»Er hat jetzt einen festen Platz«, sagte Aurelia gereizt. »Ich habe Angst um ihn, Gaius Julius. Nichts kann ihn bremsen.«
Gaius Matius war der Sohn des Ritters Gaius Matius, und er war genau gleich alt wie der junge Caesar. Die Wohnungen der Eltern waren nur durch den Hof getrennt, und die beiden Jungen waren zusammen aufgewachsen, ihre Zukunftsaussichten waren jedoch so unterschiedlich wie ihre kindlichen Hoffnungen. Sie kannten einander so gut wie Brüder und mochten sich mehr, als sich Brüder gewöhnlich mögen.
Gaius Matius war kleiner als der junge Caesar. Er hatte eine helle Gesichtshaut und haselnußbraune Augen, angenehme Gesichtszüge und einen sanften Mund. Seinem Vater glich er in jeder Hinsicht: Schon jetzt zog es ihn zum Handel und zum Handelsrecht, und er wollte Händler werden. Außerdem interessierte er sich für die Gartenpflege; mit Pflanzen hatte er eine glückliche Hand.
Als Gaius Matius den jungen Caesar kommen sah, pflanzte er gerade in einer Ecke des Gartens Sträucher an. Er merkte sofort, daß etwas Schlimmes passiert sein mußte. Schnell legte er den Pflanzenheber weg, stand auf und klopfte sich die Erde von der Tunika, denn seine Mutter sah es nicht gerne, wenn er aus dem Garten Schmutz in die Wohnung brachte. Dann benutzte er seine Tunika allerdings noch dazu, seine schmutzigen Hände abzuwischen.
»Was ist denn mit dir los?« fragte er ruhig.
»Du kannst mir gratulieren, Pustula!« rief der junge Caesar laut. »Ich bin der neue Jupiterpriester!«
»Ach du meine Güte«, sagte Matius, den der junge Caesar seit frühester Jugend pustula, Pickel, nannte, weil er so klein war. Er begann wieder zu graben. »Das ist ja ein Pech, Pavo«, meinte er mitfühlend. Er nannte den jungen Caesar Pfau, denn die Mütter hatten die beiden Jungen und ihre Schwestern einmal zu einem Picknick auf den Pincio mitgenommen. Dort waren Pfaue mit gespreizten Schwanzfedern herumstolziert und hatten zusammen mit den Mandelblüten und den Narzissenfeldern ein wunderbares Bild geboten. Der kleine Caesar, der damals gerade laufen gelernt hatte, hatte sich aufgeplustert wie ein Pfau. Seither wurde er pavo,
Pfau, genannt.
Der junge Caesar hockte sich neben Gaius Matius auf den Boden und bemühte sich, seine Tränen zurückzuhalten, denn seine Wut wich allmählich einer tiefen Trauer. »Ich wollte die Graskrone gewinnen und dabei noch jünger sein als Quintus Sertorius«, sagte er schließlich. »Ich wollte der große Feldherr der Weltgeschichte werden — noch größer als Alexander! Ich wollte öfter Konsul werden als Gaius Marius. Ich wollte Ruhm und Ansehen erwerben!«
»Als Jupiterpriester hast du großes Ansehen.«
»Nicht als Person. Die Menschen achten das Amt, nicht den Amtsinhaber.«
Matius seufzte und legte die Pflanzschaufel wieder weg. »Komm, wir gehen zu Lucius Decumms.«
Das war ein guter Vorschlag, und Caesar sprang eifrig auf. »Ja, komm.«
Sie gingen durch Matius’ Wohnung und traten auf die Subura Minor hinaus, gingen dann an dem Gebäude entlang bis zur großen Kreuzung der Subura Minor und des Vicus Patricius. Hier, an der Spitze der dreieckigen Insula, die Aurelia gehörte, befand sich das Lokal des Kreuzwegevereins, in dem seit über zwanzig Jahren Lucius Decumius regierte.
Natürlich war er anwesend. Seit dem Neujahrstag hatte er das Haus nur verlassen, wenn er Aurelia oder die Kinder bewachen mußte.
»Wer kommt
Weitere Kostenlose Bücher