MoR 02 - Eine Krone aus Gras
es jetzt verlesen.« Und zu Scaevola sagte sie: »Quintus Mucius, würdest du uns bitte das Testament vorlesen?«
Das Testament war kurz und offenbar erst kürzlich verfaßt worden. Marius hatte es niedergeschrieben, als er mit seinem Heer südlich des Janiculum gestanden hatte. Den größten Teil seines Besitzes vermachte er seinem Sohn, dem jungen Marius; Julia erhielt das Maximum dessen, was er ihr als eigenen Besitz hatte übertragen können. Ein Zehntel seines Besitzes erbte der Adoptivsohn seines Bruders, Gratidianus, der nun plötzlich ein sehr wohlhabender Mann war, denn Gaius Marius war über alle Maßen vermögend gewesen. Dem jungen Caesar hatte Gaius Marius seinen germanischen Sklaven Burgundus vermacht — als Dank für die kostbare Zeit seiner Jugend, die er dem alten Mann geopfert hatte, um ihm beizubringen, seine linke Körperhälfte wieder zu benutzen.
Warum hast du mir den Sklaven vermacht, Gaius Marius? fragte sich der Junge stumm. Sicherlich nicht aus Dankbarkeit, wie du schreibst. Willst du damit sicherstellen, daß meine Laufbahn zu Ende ist, wenn ich mein Priesteramt ablege? Soll er mich ermorden, wenn ich die politische Karriere anstrebe, an der du mich hindern wolltest? Nun, in zwei Tagen wirst du nur noch Asche sein. Aber ich werde nicht tun, was jeder vernünftige Mann tun würde — nämlich diesen Germanen töten lassen. Er hat dich geliebt, wie ich dich einmal geliebt habe. Es wäre ein schlechter Lohn für seine Liebe, ihn töten zu lassen — seelisch oder körperlich. Ich werde Burgundus also behalten. Und ich werde ihn dazu bringen, mich zu lieben.
Der Jupiterpriester wandte sich Lucius Decumius zu. »Ich bin hier nur im Weg«, sagte er. »Begleitest du mich nach Hause?«
»Du gehst nach Hause?« fragte Cinna. »Gut! Würdest du bitte Cinnilla mitnehmen? Sie ist müde.«
Der Priester sah seine siebenjährige Gemahlin an. »Komm, Cinnilla«, sagte er und lächelte sie an, denn er wußte, daß er damit Frauenherzen erobern konnte. »Kann euer Koch gute Kuchen backen?«
Zusammen mit Lucius Decumius traten die beiden Kinder auf den Clivus Argentarius hinaus und gingen hangabwärts auf das Forum Romanum zu. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, stand aber noch nicht hoch genug am Himmel, um den Grund des feuchten Tals zu erreichen, in dem die Existenz Roms wurzelte.
»Seht euch das an! Die Köpfe sind weg!« rief der Junge, als sie den Steinboden des Comitiums betraten. »Ich frage mich, Lucius Decumius, ob die Reinigung nach einem Sterbefall mit einem gewöhnlichen Besen durchgeführt wird oder ob man dazu einen besonderen Besen braucht?« Er hüpfte über zwei Steinplatten und fügte hinzu: »Es hilft wohl alles nichts: Ich werde erst einmal die Bücher lesen müssen. Es wäre schrecklich, wenn ich bei meinem Wohltäter Gaius Marius auch nur geringfügig von den vorgeschriebenen Riten abweichen würde! Auch wenn ich in meinem Leben sonst nichts mehr fertigbringe: Von Gaius Marius muß ich uns vollständig befreien!«
Und Lucius Decumius ließ sich zu einem prophetischen Ausspruch hinreißen, nicht weil er das zweite Gesicht hatte, sondern weil er den Jungen liebte. »Du wirst einmal größer sein als Gaius Marius.«
»Ich weiß«, sagte der junge Caesar. »Ich weiß, Lucius Decumius, ich weiß!«
FINIS
Anhang 1: Die handelnden Personen
Caepio
Quintus Servilius Caepio (Konsul 106 v. Chr.), raubte das Gold von Tolosa
Quintus Servilius Caepio [Caepio] (Prätor 91 v. Chr.), sein Sohn
Livia Drusa, Frau des Caepio (Schwester des Marcus Livius Drusus)
Quintus Servilius Caepio Junior, Sohn des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Major [Servilia], ältere Tochter des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Minor [Lilla], jüngere Tochter des Caepio mit Livia Drusa
Servilia Gnaea [Gnaea], eine Verwandte Porcia Licimana, Gnaeas Mutter
Die Brüder Caesar
Quintus Lutatius Catulus Caesar (Konsul 102 v. Chr.), ältester Bruder, zur Adoption weggegeben
Lucius Julius Caesar (Konsul 90 v. Chr., Zensor 89 v. Chr.), mittlerer Bruder
Gaius Julius Caesar Strabo Vopiscus Sesquiculus, jüngster Bruder (Alle drei sind Söhne von Sextus Julius Caesar, dem älteren Bruder des Großvaters des berühmten Caesar)
Caesar
Gaius Julius Caesar (Prätor 92 v. Chr.)
Aurelia, seine Frau (Tochter der Rutilia, Nichte des Publius Rutilius Rufus)
Julia Major [Lia], seine ältere Tochter
Julia Minor [Ju-ju], seine jüngere Tochter
Gaius Julius Caesar Junior [auch Pavo], sein Sohn Gaius Julius Caesar, sein
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