MoR 02 - Eine Krone aus Gras
wie die weißen Bettlaken, die der Verwalter für sie auf der Liege hatte ausbreiten lassen. In ihrem Ehebett lag Gaius Marius, und Julia hatte kein anderes Bett im Haus.
»Ob du hungrig bist oder nicht, spielt keine Rolle; ich werde dir ein wenig Suppe einflößen«, sagte der Junge in jenem Tonfall, gegen den sich nicht einmal Marius aufgelehnt hatte. »Du mußt essen, Tante Julia, denn es kann ja noch tagelang dauern. Er läßt das Leben nicht so schnell los.«
Die Suppe und ein paar Würfel hartes Brot wurden hereingebracht. Der junge Caesar brachte Julia dazu, die Suppe zu trinken, indem er sich neben sie auf die Liege setzte und sie sanft und leise, aber unablässig drängte, weiterzuessen. Er gab nicht nach, bis die Schale völlig leer war. Dann nahm er die Kissen von der Liege, deckte seine Tante zu und strich ihr zärtlich die Haare aus der Stirn.
»Wie gut du zu mir bist, kleiner Gaius Julius«, sagte sie schläfrig.
»Nur zu denen, die ich lieb habe«, erwiderte er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Zu dir. Zu Mutter. Zu niemandem sonst.« Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Lippen.
Julia schlief mehrere Stunden lang, und während dieser Zeit saß er in einem Stuhl und betrachtete sie. Seine Augenlider wurden schwer, aber er hielt sich wach. Er trank ihren Anblick in sich hinein, um sich später an sie erinnern zu können; nie wieder würde sie ihm so gehören, wie sie ihm jetzt gehörte, während sie schlief.
Als Julia erwachte, verflog diese Stimmung. Sie erschrak, als sie bemerkte, wie lange sie geschlafen hatte, und beruhigte sich erst wieder, als ihr der junge Caesar versicherte, Gaius Marius’ Zustand habe sich nicht verändert.
»Du wirst jetzt baden«, befahl der Junge ihr, »und wenn du zurückkommst, ißt du ein Honigbrot. Gaius Marius merkt nicht, ob du bei ihm bist oder nicht.«
Nach dem Schlaf und dem Bad fühlte sich Julia hungrig. Sie aß das Honigbrot, während ihr der junge Caesar von seinem Stuhl aus stirnrunzelnd zusah. Schließlich erhob sie sich.
»Ich bringe dich bis zu seinem Zimmer«, sagte er, »aber ich darf nicht eintreten.«
»Nein, natürlich nicht. Du bist schließlich der Jupiterpriester. Es tut mir so leid, daß du dein Amt haßt!«
»Mach dir darüber keine Sorgen, Tante Julia. Ich finde schon eine Lösung.«
Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und küßte ihn. »Ich danke dir für deine Hilfe, junger Caesar. Du bist ein großer Trost für mich.«
»Ich tue es nur für dich, Tante Julia. Für dich würde ich mein Leben geben.« Er lächelte. »Vielleicht ist es näher an der Wahrheit, wenn ich sage, daß ich das schon getan habe.«
Gaius Marius starb kurz vor der Morgendämmerung. Er starb in der Stunde, in der alles Leben erloschen scheint und Hunde heulen und Hähne krähen. Er starb, nachdem er sieben Tage bewußtlos gewesen war, am dreizehnten Tag seines siebten Konsulats.
»Eine Unglückszahl«, stellte der Pontifex Maximus Scaevola erschauernd fest und rieb sich die Hände.
Unglücklich für ihn, aber glücklich für Rom, dachten die meisten, die Scaevolas Bemerkung hörten.
»Er muß ein Staatsbegräbnis bekommen«, sagte Cinna. Er war in Begleitung seiner Frau Annia und seiner jüngeren Tochter Cinnilla gekommen, der Frau des Jupiterpriesters.
Aber Julia, die nicht weinte und sehr gefaßt schien, schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, Lucius Cinna, es wird kein Staatsbegräbnis geben. Gaius Marius ist reich genug, um seine Beerdigung selbst zu bezahlen. Rom kann sich im Augenblick keine großen Ausgaben leisten. Und ich will auch keine große Veranstaltung. Nur die Angehörigen sollen dabeisein. Das bedeutet, daß Gaius Marius’ Tod erst bekannt werden darf, wenn die Beerdigung vorüber ist.« Sie erschauerte und verzog das Gesicht. »Gibt es eine Möglichkeit, diese entsetzlichen Sklaven loszuwerden, die er zuletzt um sich sammelte?«
»Das wurde schon vor sechs Tagen erledigt«, sagte Cinna errötend. Er konnte seine Verlegenheit nicht verbergen. »Quintus Sertorius zahlte ihnen auf dem Marsfeld ihren Sold aus und befahl ihnen, Rom zu verlassen.«
»Ach ja, natürlich! Das habe ich einen Augenblick lang völlig vergessen«, sagte die Witwe. »Wie gut von Quintus Sertorius, daß er unsere Probleme löst!« Niemand wußte, ob sie diese Bemerkung ironisch gemeint hatte. Sie sah ihren Bruder Caesar an. »Hast du Gaius Marius’ Testament von den Vestalinnen geholt, Gaius Julius?«
Caesar nickte.
»Dann wollen wir
Weitere Kostenlose Bücher