MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Liktoren. »Geht nach Hause, ihr guten Diener des Volkes. Ich werde mich jetzt um ihn kümmern.«
Sie badete ihn selbst, rasierte ihm den Sechstagebart von Wangen und Kinn und kleidete ihn mit Strophantes’ Hilfe in eine frischgewaschene, weiße Tunika. Dann ließ sie ihn in sein Bett legen. Sie weinte nicht.
»Benachrichtige meinen Sohn und die ganze Familie«, befahl sie dem Verwalter, als Marius in seinem Bett lag. »Er wird noch nicht jetzt sterben, aber er wird sterben.« Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett des großen Mannes und gab Strophantes weitere Anweisungen, nur unterbrochen von Marius’ fürchterlich rasselndem Atem. Die Gästezimmer mußten vorbereitet werden, und man mußte genügend Nahrungsmittel herbeischaffen und das Haus gründlich reinigen. Und Strophantes mußte den besten Bestatter Roms kommen lassen. »Ich kenne keinen einzigen mit Namen!« sagte Julia auf die Frage des Verwalters erstaunt. »Während meiner ganzen Ehe mit Gaius Marius hatten wir nur einen einzigen Todesfall in diesem Haus, als unser kleiner zweiter Sohn starb. Damals lebte der alte Caesar noch; er hat alles veranlaßt.«
»Vielleicht erholt er sich wieder, domina«, sagte der Verwalter weinend. Er war in Gaius Marius’ Diensten alt geworden.
Julia schüttelte den Kopf. »Nein, Strophantes, er erholt sich nicht mehr.«
Julias Bruder Gaius Julius Caesar, seine Frau Aurelia, ihr Sohn, der junge Caesar, und ihre Töchter Lia und Ju-Ju kamen gegen Mittag. Der junge Marius, der einen weiten Weg hatte, traf erst nach Einbruch der Dunkelheit in seinem Elternhaus ein. Claudia, die Witwe von Julias zweitem Bruder, lehnte es ab zu kommen, sie schickte jedoch ihren jungen Sohn, der ebenfalls Sextus Caesar hieß, als Vertreter dieses Familienzweiges. Marius’ Bruder Marcus war schon vor mehreren Jahren verstorben, aber sein Adoptivsohn Gratidianus war anwesend. Auch Quintus Mucius Scaevola Pontifex Maximus und seine zweite Frau, die wie seine erste Frau Licinia hieß, eilten herbei. Seine Tochter, Mucia Tertia, weilte natürlich bereits in Marius’ Haus.
Auch viele andere Besucher kamen, aber sie kamen längst nicht so zahlreich, wie sie einen Monat früher gekommen wären. Catulus Caesar, Lucius Caesar, Antonius Orator, Caesar Strabo, der Zensor Crassus — ihre Zungen konnten nicht mehr sprechen, ihre Augen nicht mehr sehen. Lucius Cinna kam mehrmals; bei seinem ersten Besuch überbrachte er die Grüße des Quintus Sertorius.
»Er kann seine Legion im Augenblick nicht verlassen.«
Julia durchschaute die Ausrede, sagte aber nur: »Bitte richte dem lieben Quintus Sertorius aus, daß ich ihn vollkommen verstehe — und daß ich ihm vollkommen recht gebe.«
Diese Frau versteht alles! dachte Cinna fröstelnd. Er blieb nur so lange, wie es die Höflichkeit gebot, achtete aber darauf, daß es so aussah, als habe er mit Gaius Marius gesprochen.
Die Familienmitglieder wechselten sich mit der Wache am Bett des Sterbenden ab. Nur Julia saß die ganze Zeit in ihrem Stuhl. Als die Reihe an den jungen Caesar kam, weigerte er sich, das Sterbezimmer zu betreten.
»Ich darf nicht mit einem Toten zusammensein«, erklärte er mit ausdruckslosem Gesicht und unschuldigem Blick.
»Aber Gaius Marius lebt noch!« sagte Aurelia und warf Scaevola und dessen Frau einen vielsagenden Blick zu.
»Er könnte aber sterben, während ich bei ihm bin. Das kann ich nicht zulassen«, erwiderte der Junge fest. »Wenn er tot ist und sein Körper aus dem Haus geschafft wurde, werde ich die Reinigungsriten in seinem Zimmer vornehmen.«
Der Spott in seinen Augen war so verhalten, daß nur seine Mutter ihn bemerkte. Doch sie bemerkte ihn und verspürte plötzlich eine tiefe Hilflosigkeit, denn sie erkannte darin Haß — einen leidenschaftslosen, aber auch nicht gleichgültigen und keineswegs unüberlegten Haß.
Als Julia endlich aus dem Sterbezimmer kam, um ein wenig zu schlafen — der junge Marius hatte sie von der Seite ihres Mannes wegziehen müssen —, wurde sie von dem jungen Caesar in ihr Zimmer geleitet. Aurelia wollte sich gerade erheben, um sich um Julia zu kümmern, aber auf einen stummen Befehl aus den Augen ihres Sohnes hin setzte sie sich sofort wieder. Sie hatte die Macht über ihn verloren. Er war frei.
»Du mußt etwas essen«, sagte der Junge zu seiner geliebten Tante, während sie sich auf der Liege niederließ. »Strophantes kommt sofort.«
»Ich bin aber überhaupt nicht hungrig!« flüsterte sie. Ihr Gesicht war so weiß
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