MoR 03 - Günstlinge der Götter
unterbrochen haben. Im Namen der anderen Priester sage ich, daß niemand Schuld trägt, daß wir auf keiner Seite eine Verfehlung entdecken können, Lucius Cornelius, weder auf deiner noch auf der deiner Frau. Was geschehen ist, ist geschehen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
Er drehte sich um, blickte die schweigende Versammlung an und sagte mit lauter, fester Stimme, ohne zu stottern: »Ich bin euer Pontifex Maximus! Daß ich ohne Stottern und Stammeln zu euch spreche, ist Beweis genug, daß Jupiter Optimus Maximus durch mich spricht. Ich sage, die Frau dieses Mannes ist unrein, ihre Anwesenheit in seinem Leben und seinem Haus beleidigt unsere Götter, und sie muß sofort aus seinem Leben und seinem Haus entfernt werden. Wir brauchen darüber nicht abzustimmen. Wenn einer der Anwesenden mir nicht zustimmt, so sage er es jetzt.«
Die Stille war so tief, als sei der Tempel leer.
Metellus Pius wandte sich wieder an den Diktator. »Wir weisen dich an, Lucius Cornelius Sulla, deinen Dienern zu befehlen, daß sie deine Frau Caecilia Metella Delmatica aus deinem Haus bringen und in den Tempel der Juno Sospita geleiten, wo sie bis zu ihrem Tode bleiben soll. Auf keinen Fall darfst du sie noch einmal sehen. Sobald sie aus dem Haus ist, beauftrage ich den Rex Sacrorum und den Marspriester an Stelle des Jupiterpriesters, die Reinigungsriten in Lucius Cornelius’ Haus durchzuführen.«
Er zog sich die Toga über den Kopf. »Ihr himmlischen Zwillinge Castor und Pollux, ihr Dioskuren, Dei Penates oder wie immer ihr genannt werden wollt — ihr, die ihr Götter seid oder Göttinnen oder ohne Geschlecht —, wir sind in eurem Tempel versammelt, weil wir eure Fürsprache beim mächtigen Jupiter Optimus Maximus, dessen Abkömmlinge ihr seid oder nicht seid, und beim Triumphator Hercules Invictus brauchen. Wir bitten euch: Bezeugt den Göttern, daß wir uns redlich bemüht haben, geschehenes Unrecht wiedergutzumachen. Wir versprechen hiermit, daß wir euch ein Zwillingspaar weißer Fohlen opfern werden, sobald wir diese seltenen Opfertiere finden. Helft uns, wie ihr es stets getan habt.«
Die Auspizien wurden eingeholt, und sie bestätigten den Beschluß des Pontifex Maximus. Das klare Morgenlicht, das durch die offene Tür ins Innere des Tempels fiel, verdunkelte sich plötzlich, und ein seltsam kalter Wind wehte herein.
»Noch eines, bevor wir gehen«, sagte Sulla.
Die Priester, die sich schon zum Gehen angeschickt hatten, blieben sofort wieder stehen.
»Wir müssen die Sibyllinischen Bücher ersetzen, denn auch wenn wir noch das Buch von Vegoia und Tages haben, das sicher im Tempel des Apoll verwahrt wird, hilft uns dieses Buch doch bei ausländischen Göttern wie Hercules Invictus nicht weiter. Es gibt viele Sibyllen auf der Welt, und einige stehen der Sibylle von Cumae sehr nahe, die ihre Verse auf Palmblätter schrieb und sie vor langer Zeit König Tarquinius Priscus zum Kauf anbot. Pontifex Maximus, ich wünsche, daß du jemanden beauftragst, auf der ganzen Welt nach den Versen zu suchen, die in unseren prophetischen Büchern enthalten waren.«
»Du hast recht, Lucius Cornelius, dies muß geschehen«, sagte Metellus Pius ernst. »Ich werde einen geeigneten Mann für diese Aufgabe finden.«
Diktator und Pontifex Maximus gingen gemeinsam zu Sulla nach Hause.
»Meine Tochter wird außer sich sein«, sagte der Diktator, »aber wenn sie es aus deinem Mund hört, wird sie mir keine Schuld geben.«
»Es tut mir sehr leid wegen dieses Unglücks.«
»Mir auch!« sagte Sulla bedrückt.
Cornelia Sulla glaubte ihrem Vater, was sie selbst so sehr überraschte wie ihn.
»Ich glaube, du liebst sie, wie du es vermagst, Vater. Und ich habe keine so schlechte Meinung von dir, daß ich dir unterstellen würde, du wollest sie loswerden.«
»Liegt sie im Sterben?« fragte Metellus Pius. Er bekam plötzlich Gewissensbisse, weil er vorgeschlagen hatte, Delmatica für den Rest ihres Lebens in den Tempel der Juno Sospita zu verbannen.
»Es wird bald zu Ende sein«, sagte Lucius Tuccius. »Sie hat eine schlimme Wucherung im Bauch.«
»Dann bringen wir es rasch hinter uns.«
Als acht kräftige Sänftenträger Delmatica vom Krankenlager hoben, geschah dies nicht in würdevoller Stille. Als Delmatica der Beschluß der Priester mitgeteilt wurde, verflog mit einem Mal die Geduld, die ihr ganzes Leben bestimmt hatte. Sie würde ihren Mann nie wiedersehen! Schluchzend schrie und kreischte sie immer wieder seinen Namen, als man sie
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