MoR 03 - Günstlinge der Götter
hinaustrug. Sulla, dem Tränen die Wangen hinabrannen, saß unterdessen in seinem Arbeitszimmer, die Hände auf die Ohren gepreßt. Wieder hatte er bezahlen müssen. An wen? An Fortuna oder Metrobius?
Am Gemüsemarkt vor der Servianischen Mauer reihten sich vier Tempel aneinander: die Tempel der Pietas, des Janus, der Spes und der Juno Sospita. Die Juno Sospita war keine besonders wichtige Schutzgöttin für Schwangere, sondern mehr eine kriegerische Version der großen Mutter von Pessinus, der Juno der Schlangen aus Lanuvium, der Himmelskönigin und Erlöserin der Frauen. Wohl wegen dieses letzten Aspektes ihrer Erscheinung war es unter gesunden Wöchnerinnen lange Zeit Brauch gewesen, ihre Nachgeburt als Opfergabe in den Tempel der Juno Sospita zu bringen.
Während des Bundesgenossenkrieges, als Geld und Tempelsklaven knapp waren, war Juno Sospita der Metella Balearica, die mit Appius Claudius Pulcher verheiratet gewesen war, im Traum erschienen und hatte sich bitter über den Schmutz in ihrem Tempel beklagt, der es ihr unmöglich mache, dort zu wohnen. Balearica war daraufhin zum Konsul Lucius Caesar gegangen und hatte verlangt, man möge ihr beim Saubermachen des Tempels helfen. Dort hatte man nicht nur verwesende Plazentas gefunden. Überall waren die Überreste toter Frauen, Hündinnen, Säuglinge und Ratten herumgelegen. Obwohl Caecilia Metella Balearica damals selbst schwanger gewesen war, hatte sie zusammen mit Lucius Caesar ihre ekelerregende Aufgabe ganz erfüllt und war zwei Monate später nach der Geburt ihres sechsten Kindes gestorben.
Seither war der Tempel freilich peinlich sauber gehalten worden. Die dargebrachten Nachgeburten wurden in dicht geflochtene, auslaufsichere Körbe gelegt und regelmäßig zur rituellen Verbrennung zur Frau des Jupiterpriesters gebracht. Kein Tempelboden glänzte sauberer, in keinem Tempel duftete es süßer. Cornelia Sulla hatte für das Lager ihrer Stiefmutter einen Platz hergerichtet, und die Sänftenträger durchlitten zitternd die größten Qualen, als sie den geheiligten Raum der Frauen betreten mußten, um Delmatica dort abzusetzen. Delmatica schrie noch immer nach Sulla, aber inzwischen schwächer und schon völlig entkräftet. Die neue Umgebung schien sie gar nicht wahrzunehmen.
Auf einem Sockel stand die bemalte Statue der Göttin. Sie trug Schuhe mit aufwärtsgebogenen Spitzen und schwang einen Speer gegen eine aufgerichtete Schlange. Am eindrucksvollsten war das echte Ziegenfell, das um ihre Schultern lag und an der Taille verknotet war, während der Kopf der Ziege mit den Hörnern wie ein Helm auf ihrem dunkelbraunen Haar saß. Cornelia Sulla und Metellus Pius setzten sich zu Füßen dieser fremdländischen Gestalt und hielten jeder eine Hand Delmaticas, um der Sterbenden in ihren letzten Schmerzen und ihrer Verzweiflung beizustehen. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, und Delmaticas Qualen waren mehr seelisch als körperlich. Sie verlangte bis zuletzt nach Sulla, unzugänglich gegenüber den vernünftigen Einwänden, die Cornelia Sulla und Metellus Pius erhoben.
Als sie tot war, ließ der Pontifex Maximus die Bestatter im Tempel ein Leichenbett errichten, denn der Leichnam durfte nicht zur feierlichen Aufbahrung nach Hause gebracht und auch nicht ausgestellt werden. So saß sie nach traditioneller Art aufrecht in ihrem Leichenbett im Tempel, bedeckt von einem schwarzen, goldumrandeten Tuch und umringt von gemieteten Klageweibern. Im Hintergrund wachte jene seltsame Göttin mit dem Ziegenfell, der aufgerichteten Schlange und dem Speer.
»Wer ein Luxusgesetz verfaßt hat«, sagte Sulla später, »kann es sich leisten, sich darüber hinwegzusetzen.«
Caecilia Metella Delmaticas Begräbnis kostete deshalb einhundert Talente. Über zwei Dutzend Schauspieler mit Wachsmasken vor den Gesichtern rollten auf Wagen durch die Straßen; die Masken gehörten verstorbenen Mitgliedern der Familie Caecilius Metellus’ und zweier Patrizierfamilien, der des Aemilius Scaurus und der des Cornelius Sulla. Die Menge, die sich im Circus Flaminius drängte — man hatte beschlossen, den unreinen Körper nicht über die heilige Stadtgrenze zu bringen —, war freilich weniger vom Pomp der Veranstaltung ergriffen als vom Anblick der dreijährigen Zwillinge Delmaticas, Faustus und Fausta, die in schwarze Gewänder gehüllt von einer mit schwarzen Girlanden behangenen Riesin aus Gallia Transalpina getragen wurden.
An den Kalenden des September begann Sulla mit der
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