MoR 04 - Caesars Frauen
auslösen würde. Natürlich war es Sulla, der das Dilemma durch Mord aus der Welt schaffen ließ. Er war damals Marius’ rechte Hand — sehr schnell, sehr klug, absolut skrupellos. Und so mußten fünfzehn Männer sterben. Es fanden keine Hochverratsprozesse statt, die womöglich Gewalt geschürt hätten; die Schiffe trafen ein, Marius ließ das Getreide spottbillig verteilen, die Römer beruhigten sich bei gefüllten Bäuchen, und später erntete Scaeva die Anerkennung für den Mord an diesen fünfzehn Männern.«
Labienus runzelte die Stirn und schüttete ein wenig Wasser in seinen Wein. »Ich würde gern wissen, worauf du hinauswillst.«
»Hauptsache ist doch, daß ich es weiß, Labienus.« Caesar lächelte. »Was hältst du eigentlich von diesem neuen Instrument des republikanischen Pragmatismus, diesem senatus consultum de re publica defendenda — oder, wie Cicero es so raffiniert umbenannt hat, dem Senatus Consultum Ultimum? Der Senat hat es erfunden, als niemand einen Diktator einsetzen wollte. Es hat dem Senat in der Zeit nach Gaius Gracchus gute Dienste getan, von Saturninus, Lepidus und einigen anderen gar nicht zu reden.«
»Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinauswillst«, sagte Labienus.
Caesar holte Atem. »Jetzt haben wir wieder so ein Senatus Consultum Ultimum, Labienus. Und nun sieh dir an, wozu es geführt hat! Für Cicero ist es eine korrekte, zwingende und äußerst praktische Maßnahme. Überzeuge den Senat davon, daß sie erlassen werden muß, und du kannst dich über die Verfassung und das mos maiorum hinwegsetzen! Mit seinem Senatus Consultum Ultimum hat Cicero Römern den Hals gebrochen, ohne ein einziges Gesetz ändern, ohne einen Prozeß führen zu müssen, ohne Zeremonie und ohne jede Menschlichkeit! Diese Männer sind schneller zu Tode gekommen als Soldaten in einer verlorenen Schlacht. Und nicht etwa in einem Hagel von Dachziegeln, sondern mit Billigung des .Senats von Rom, der sich auf Ciceros Drängen hin die Funktionen des Richters und der Geschworenen angemaßt hat! Was meinst du, Labienus, wie das für die Menge auf dem Forum heute abend ausgesehen hat? Ich will es dir sagen. Es hat so ausgesehen, als könnte vom heutigen Tag an kein römischer Bürger mehr sicher sein, daß man ihm das unveräußerliche Recht auf einen Prozeß gewährt, bevor man ihn verurteilt. Und dieser angeblich so brillante Mann, dieser in Wirklichkeit eingebildete, inkompetente Dummkopf Cicero glaubt tatsächlich, er hätte den Senat auf die bestmögliche Weise aus einer sehr schwierigen Lage befreit! Ich gestehe ihm zu, daß es für den Senat der leichteste Weg war. Aber für die große Mehrheit der römischen Bürger aus allen Klassen bedeutet das, was Cicero heute erreicht hat, den Untergang eines unveräußerlichen Rechts. Wer garantiert uns, daß es nicht wieder passiert, Labienus? Sag es mir?«
Labienus stockte vor Schreck der Atem; mit Mühe und Not gelang es ihm, den Becher auf dem Tisch abzustellen, ohne den Inhalt zu verschütten; dann blickte er Caesar an, als hätte er ihn nie zuvor gesehen. Warum sah dieser Caesar Dinge voraus, die sonst niemandem aufgefallen waren? Warum hatte er, Titus Labienus, nicht rechtzeitig begriffen, was Cicero tatsächlich bewirkte? Bei den Göttern, nicht einmal Cicero selbst hatte es begriffen! Keinem außer Caesar war es aufgegangen! Gegen die Hinrichtung hatten nur die Männer gestimmt, die auf ihr Herz gehört oder nach der Wahrheit getastet hatten wie Blinde, die über die Form eines Elefanten diskutieren.
»Bei meiner Rede heute vormittag habe ich einen furchtbaren Fehler gemacht«, fuhr Caesar wütend fort. »Ich habe mich für die Ironie entschieden. Ich habe nicht versucht, Feuer in den Herzen zu entzünden. Ich hielt es für klug, den Wahnsinn von Ciceros Eingabe deutlich zu machen, indem ich über die Zeit der Könige redete. Viel zu kompliziert. Man muß wie mit Kindern mit ihnen reden, langsam und deutlich, mit der Betonung auf offenkundige Wahrheiten. Statt dessen habe ich sie wie erwachsene, gebildete Männer behandelt, habe ihnen ein Mindestmaß an Intelligenz zugestanden und mich für die Ironie entschieden. Es war mir nicht klar, daß sie meiner Argumentation nicht folgen konnten, daß sie nicht begreifen würden, warum ich diesen Kurs einschlage. Ich hätte noch unverblümter mit ihnen reden müssen, als ich jetzt mit dir rede, aber ich wollte sie nicht verstimmen, weil ich fürchtete, der Zorn könnte sie blind machen. Dabei waren sie
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