MoR 04 - Caesars Frauen
hatte, der Lentulus Sura an der Hand hielt.
»Jetzt gleich?« fragte er Cicero.
»Jetzt gleich«, antwortete Cicero mit fester Stimme.
»Ohne Vorbereitung? Ohne Mitleid? Ohne ein Bad oder frische Kleider? Ohne seelischen Beistand? Seit wann sind wir zu Barbaren degeneriert?«
»Es muß jetzt gleich sein.« Cicero fühlte sich jämmerlich. »Bevor die Sonne untergeht. Versuch nicht, mich zu hindern.«
Lucius Caesar gab ostentativ den Weg frei. »Oh, die Götter mögen mich davor bewahren, der römischen Justiz im Wege zu sein!« höhnte er. »Hast du es meiner Schwester bereits mitgeteilt, daß ihr Mann sterben muß, ohne gebadet zu haben, und in verschmutzten Kleidern?«
»Ich habe nicht die Zeit dazu!« rief Cicero, um etwas zu erwidern. Ach, war das alles entsetzlich! Er tat doch bloß seine Pflicht! Aber das konnte er wohl schlecht zu Lucius Caesar sagen? Oder doch? Was sollte er zu ihm sagen?
»Dann werde ich jetzt zu ihr gehen und es ihr mitteilen, solange ich es noch in Lentulus Suras Namen tun kann!« sagte Lucius Caesar. »Zweifellos wirst du morgen den Senat zusammenrufen, um ihr alles wegnehmen zu lassen.«
»Nein, nein!« rief Cicero und mußte fast weinen. »Ich habe deinem Vetter Gaius Julius mein feierliches Ehrenwort gegeben, daß kein Eigentum konfisziert wird.«
»Was hast du für ein großes Herz«, sagte Lucius Caesar. Er sah seinen Schwager Lentulus Sura an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf und wandte sich ab. Es gab keinen Trost, und er glaubte auch nicht, daß er Lentulus Sura damit erreicht hätte. Die Angst hatte ihm den Verstand geraubt.
Noch ganz zittrig von dieser Begegnung schritt Cicero die vestalischen Treppen hinunter zum unteren Forum, das mit Menschen überfüllt war — und nicht nur mit den berufsmäßigen Forumsgängern. Während seine Liktoren ihm einen Weg durch die Menge bahnten, meinte Cicero, ein paar bekannte Gesichter zu erblicken. War das nicht der junge Decimus Brutus Albinus? Nein, das konnte doch nicht Publius Clodius sein! Und Gellius Poplicolas verstoßener Sohn? Doch aus welchem Grund sollte sich jemand von denen unter diese gewöhnlichen Menschen mischen?
Es lag etwas in der Luft, das dem ohnehin verschreckten Cicero noch mehr angst machte. Die Leute murrten, sie blickten ihn aus finsteren Gesichtern an und ließen sich nur mit Mühe zur Seite drängen, um für Roms Ersten Konsul und den armen Sünder an seiner Hand den Weg frei zu machen. Kaltes Entsetzen packte Cicero, am liebsten wäre er umgekehrt und davongelaufen. Aber das konnte er nicht. Das hier war sein Werk. Und er mußte es jetzt zu Ende bringen. Er war der Retter des Vaterlandes; er allein hatte Rom vor dieser Bande von aufrührerischen Patriziern bewahrt.
Auf der anderen Seite der Gemonianischen Treppe, die auf die Arx des Capitols hinaufführte, lag Roms heruntergekommenes, baufälliges (und einziges) Gefängnis, die Lautumiae; das erste und älteste Gebäude war das Tullianum, ein winziger, dreieckiger Bau, ein Relikt aus der Zeit der Könige. In der Wand zum Clivus Argentarius und der Basilica Porcia befand sich die einzige Tür — ein gewaltiges Ungetüm aus massivem Holz — die stets geschlossen und verriegelt war.
Aber an diesem Abend stand die Tür weit offen, und auf ihrer Schwelle warteten sechs halbnackte Männer — die staatlichen Henker Roms. Natürlich waren sie Sklaven, und sie lebten zusammen mit Roms anderen staatlichen Sklaven in Kasernen außerhalb des pomerium. Die sechs Männer unterschieden sich von den anderen Bewohnern der Kasernen allein durch die Tatsache, daß sie das pomerium nur dann überschritten, wenn sie in der Stadt ihrer Pflicht nachkommen mußten. Normalerweise mußten sie nur Ausländern ihre großen, kräftigen Hände um den Hals legen, um ihnen das Genick zu brechen, und das geschah höchstens ein- oder zweimal im Jahr während eines Triumphzuges. Es war viel Zeit vergangen, seit sie zum letztenmal ein römisches Genick gebrochen hatten. Sulla hatte viele Römer töten lassen, aber keinen einzigen offiziell im Tullianum. Marius hatte viele Römer umbringen lassen, doch ebenfalls keinen einzigen von ihnen in diesem Kerker.
Zum Glück erlaubte es die Konstruktion der Hinrichtungskammer den vordersten Reihen der Zuschauer nicht, einen ungehinderten Blick auf die Ereignisse zu werfen, und als Cicero die fünf Unglücklichen versammelt hatte, hatte sich eine solide Mauer aus den Leibern der Liktoren
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