MoR 04 - Caesars Frauen
verschiedensten Kräutern, und auf einem Feld wuchs ein Meer von krankem Roggen, der an jedem ersten Mai gesät und unter Aufsicht der Vestalinnen geerntet werden mußte, während Tausende von Schlangen in der Sonne dösten oder sich zwischen den Halmen räkelten — unbehelligt und ohne jemanden zu behelligen. Aus den schütteren Ähren dieses Getreides gewannen sie das Elixier der Bona Dea.
Am ersten Mai weckten die Frauen Roms ihre Gute Göttin aus dem sechsmonatigen Winterschlaf; sie taten dies mit Blumen und Festlichkeiten, die um ihren Tempel herum abgehalten wurden. Römische Bürgerinnen aus allen gesellschaftlichen Schichten versammelten sich, um an den Mysterienspielen teilzunehmen, die bei Morgengrauen begannen und bei Einbruch der Dunkelheit ihr Ende fanden. Die sorgsam gehegte Doppeldeutigkeit der Guten Göttin manifestierte sich in der Maiengeburt und dem Roggentod, in Wein und Milch. Denn Wein war verboten und mußte doch in großen Mengen konsumiert werden. Man nannte ihn Milch und lagerte ihn in kostbaren silbernen Gefäßen, die man Honigtöpfe nannte, eine weitere List, um die männlichen Wesen zu verwirren. Müde Frauen machten sich auf den Heimweg, voll mit Milch aus Honigtöpfen, noch immer ganz erregt vom aufreizenden Dahingleiten der Schlangen, in seliger Erinnerung an die kräftigen Kontraktionen der Schlangenmuskeln, den Kuß der geteilten Zungen, die aufgebrochene Erde, die den Samen empfing, die Krone aus Weinblättern, den ewig weiblichen Kreislauf von Geburt und Tod. Aber kein Mann wußte oder wollte auch nur wissen, was am Maitag oben bei der Bona Dea geschah.
Anfang Dezember begab sich Bona Dea wieder zur Ruhe, aber nicht vor aller Augen, wenn die Sonne am Himmel stand oder die gewöhnliche römische Frau unterwegs war. Denn was sie im Winter träumte, war ihr Geheimnis. Das Ritual blieb den Römerinnen von höchster Geburt vorbehalten. Alle ihre Töchter durften ihrer Wiederaufstehung beiwohnen, aber Zeuginnen ihres Sterbens durften nur die Töchter der Könige sein. Der Tod war heilig. Der Tod war nicht öffentlich.
Daß die Bona Dea dieses Jahr im Hause des Pontifex Maximus zur Ruhe gelegt werden sollte, stand seit langem fest; die Wahl des Ortes war den Vestalinnen vorbehalten, allerdings mit der Auflage, daß es das Haus eines amtierenden Konsuls oder Prätors sein mußte. Seit der Zeit des Ahenobarbus Pontifex Maximus hatte es nicht mehr die Möglichkeit gegeben, die Zeremonie im Domus Publica zu begehen. Dieses Jahr war es möglich. Das Haus des Stadtprätors Julius Caesar war ausgewählt worden, und seine Frau Pompeia Sulla würde die offizielle Gastgeberin sein. Zeitpunkt war die dritte Nacht des Dezember, in dieser Nacht durften kein Mann und kein männliches Kind sich im Domus Publica aufhalten und auch keine männlichen Sklaven.
Natürlich war Caesar begeistert, daß man sich für sein Haus entschieden hatte, und er erklärte sich nur allzugern bereit, in dieser Nacht in seinen Räumen am unteren Vicus Patricii zu schlafen; vermutlich hätte er seine alte Wohnung in Aurelias Mietshaus vorgezogen, aber die war gerade vom Prinzen Masintha von Numidia besetzt, seinem Klienten, der in diesem Jahr einen Gerichtsprozeß verloren hatte. Dabei waren Masintha die Nerven durchgegangen! Er war so erbost über die ständigen Lügen des Prinzen Juba gewesen, daß er ihn an seinem Bart aus dem Sessel gezogen hatte. Da er kein römischer Bürger war, hätten ihm Auspeitschung und Erdrosseln gedroht, aber Caesar hatte ihn rechzeitig in die Obhut von Lucius Decumius gegeben und versteckte ihn jetzt immer noch dort. Vielleicht, dachte der Pontifex Maximus, während er den Hügel hinauf in die Subura ging, konnte es gerade in einer solchen Nacht nicht schaden, sich eine der wunderbaren, erdigen Frauen aus der Subura zu Gemüte zu führen. Zeit und Schicksal hatten dafür gesorgt, daß diese Frauen aus seinem Gesichtskreis entschwunden waren. Ja, eine ausgezeichnete Idee! Zuerst ein Abendessen mit Lucius Decumius, und dann ein kurzes Briefchen an Gavia oder Apronia oder Scaptia...
Es war bereits stockfinster, aber ausnahmsweise war der Teil der Via Sacra, der sich durch das Forum Romanum schlängelte, an diesem Abend von Fackeln erleuchtet; eine scheinbar endlose Parade von Sänften und Lakaien strömte aus verschiedenen Richtungen auf das Hauptportal des Domus Publica zu, und in dem dunstigen Schleier aus Licht blitzte hier und da ein wundersam gefärbtes Kleid, ein funkelndes
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