MoR 04 - Caesars Frauen
tapfer durch die Wellen, seetüchtig und, wie es Athenodorus Cordylion und Munatius Rufus scheinen wollte, auf geheimnisvolle Weise von Catos Willen getrieben. Als sie am vierten Tag der Reise den Hafen von Aenus erreicht hatten, wartete Cato nicht einmal, bis das Schiff fest vertäut war. Er überwand den Raum zwischen Schiff und Anleger mit einem Sprung und rannte wie ein Wahnsinniger durch den strömenden Regen davon. Nur einmal blieb er stehen, um einen Straßenhändler nach dem Haus des Ethnarchen zu fragen, denn er wußte, daß Caepio in diesem Haus lag.
Er stürmte hinein in das Haus und in das Zimmer, in dem sein Bruder lag — eine Stunde zu spät, um ihm noch die Hand zu halten und ihn spüren zu lassen, daß er da war. Quintus Servilius Caepio war bereits tot.
Um ihn herum bildeten sich Wasserpfützen auf dem Fußboden, als Cato vor dem Bett stand, den Blick auf die Seele und den Trost seines ganzen Lebens gerichtet, eine regungslose, traurige Gestalt, aus der Farbe, Kraft und schließlich auch das Leben gewichen waren. Die Augen hatte man geschlossen und die Lider mit Münzen beschwert, die runde silberne Kante einer Münze war auch zwischen den leicht geöffneten Lippen sichtbar — jemand anderer hatte Caepio das Fahrgeld für die Reise über den Styx mitgegeben. Man hatte nicht mehr mit Cato gerechnet.
Cato öffnete den Mund und stieß einen Laut aus, der jeden, der ihn hörte, erstarren ließ — es war weder ein Heulen noch ein Brüllen, auch kein Kreischen, sondern eine grauenhafte Mischung aus allem, animalisch, wild, gespenstisch. Alle Anwesenden wichen instinktiv zurück und sahen schaudernd zu, wie Cato sich auf das Bett warf, auf den toten Caepio, um das träumende Gesicht mit Küssen, den leblosen Körper mit Liebkosungen zu überschütten, und dabei quollen ihm unaufhörlich die Tränen aus den Augen; von Zeit zu Zeit brach wieder dieses schreckliche Geräusch aus ihm hervor. Dieser Ausbruch des Schmerzes wollte kein Ende nehmen; Cato betrauerte den Tod des einzigen Menschen auf der Welt, der ihm alles bedeutet hatte, der ihm Halt in einer trostlosen Kindheit und in der Jugend und im Mannesalter Rettungsanker und Fels in der Brandung gewesen war. Niemand anderer als Caepio hatte damals, als Onkel Drusus blutend und schreiend auf dem Boden lag, den zitternden Dreijährigen an seinem warmen Körper geborgen, hatte den Schrecken dieser entsetzlichen Stunden allein auf seine erst sechs Jahre alten Schultern geladen. Caepio hatte ihm geduldig zugehört, wenn sein nicht sehr begabter kleiner Bruder sich schwertat beim Lernen und jeden einzelnen Fakt endlos wiederholen mußte, bis er ihn behielt.
Niemand anderer als Caepio hatte, nachdem Aemilia Lepida fortgegangen war, so lange auf ihn eingeredet, bis er ihn davon überzeugt hatte, daß es sich lohnte, weiterzuleben. Caepio hatte ihn auf seinen ersten Feldzug mitgenommen und ihm beigebracht, ein guter, furchtloser Soldat zu sein, hatte gestrahlt, als ihm der armilla und die phalerae verliehen worden waren, für Tapferkeit auf einem Schlachtfeld, das eher durch Feigheit von sich reden gemacht hatte, denn sie hatten beide zu der Armee von Clodianus und Poplicola gehört, die dreimal von Spartacus besiegt worden war. Immer wieder war es Caepio gewesen, der ihm geholfen hatte.
Und nun gab es keinen Caepio mehr. Caepio war allein und ohne Freunde gestorben, niemand hatte ihm die Hand gehalten. Schuld und Reue trieben Cato vor dem aufgebahrten Caepio beinahe in den Wahnsinn. Als die Leute versuchten, ihn vom Bett wegzuziehen, schlug er um sich; als sie ihn überreden wollten, stieß er laute Schreie aus. Fast zwei Tage lang konnten sie ihn nicht dazu bewegen, seinen Platz bei dem geliebten Bruder zu verlassen; und das Schlimmste war, daß nicht einer von ihnen auch nur annähernd verstand, wie schrecklich dieser Verlust für ihn war, wie einsam er bis an sein Lebensende sein würde. Caepio war gegangen, und zusammen mit ihm hatte er Liebe, Ausgeglichenheit und Geborgenheit für immer verloren.
Schließlich gelang es Athenodorus Cordylion mit einem Appell an die stoischen Tugenden, an ein Verhalten, das man von einem wie Cato, der sich zur Stoa bekannte, wohl erwarten konnte, den Panzer des Wahnsinns zu durchbrechen. Cato stand auf und machte sich daran, das Begräbnis seines Bruders vorzubereiten, immer noch in eine grobe Tunika und einen schlecht riechenden Mantel gekleidet, unrasiert, das Gesicht verschmiert von den vielen Tränen, die darüber
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