Moral in Zeiten der Krise
werden.
Zukunft, das sind die Kinder
Woher kommt der Geburtenrückgang? Weil die Verhältnisse immer schwieriger werden? Oder weil wir uns selbst nicht mehr zutrauen, den Kindern eine lebenswerte Zukunft zu hinterlassen? Sind wir zu egoistisch geworden und brauchen keine Kinder mehr, um uns wohlzufühlen? Die Politik tut manches, damit für Kinder mehr Geld und mehr Betreuung da ist. Aber das hat den Geburtenrückgang nicht gestoppt.
Warum bleiben vor allem höher gebildete Frauen häufig gewollt kinderlos? Man kann auf die dramatische Rollenverschiebung zwischen den Geschlechtern hinweisen, die den Frauen fast schlagartig höhere Verantwortung für die Gestaltung der Welt zugewiesen hat. Wie aus grauer Vorzeit erscheint, was Freud noch 1930 über das Geschlechterverhältnis geschrieben hatte: Die Frauen, weil weniger sublimationsfähig, blieben für Familie und Sexualleben zuständig, während den höher sublimationsbegabten Männern der Vorrang in der Kulturarbeit gebühre. So war es noch klipp und klar in Das Unbehagen in der Kultur , erschienen 1930, zu lesen. Inzwischen haben die Frauen das Vorurteil ihrer Sublimationsschwäche so gründlich wie nur denkbar widerlegt. Darüber hinaus ist klar geworden: Nur wenn sie ihre traditionelle weibliche Wertewelt der Menschlichkeit gemeinsam mit den Männern mehr in die Gestaltung der Gesellschaft einbringen, kann die Gesellschaft freundlicher und sensibler werden. Dafür aber müssen sie allerdings erst einmal ebenbürtig so weit in Führungspositionen aufsteigen, dass sie hinreichend mitbestimmen können, wohin es langgehen soll. Das mag ihnen vorübergehend das Kinderkriegen erschweren.Aber es geht ja auch anders: Wenn die Männer nämlich mehr tun, um die Frauen in Haus und in Kindererziehung zu entlasten. Doch das alles lässt sich nicht beschließen. Es kann nur von innen kommen, aber es muss bald kommen.
Die Sorge bleibt dennoch, dass es in einer tiefen psychischen Schicht an optimistischer Zuversicht mangelt, weswegen zum Beispiel der jüngste Welt-Klimagipfel so blamabel gescheitert ist. Da sah man keinen Schimmer von Verantwortung für die Kinder der Zukunft, auch nicht für die Kinder von heute. Denn in deren Köpfe geht ja ein, wie wir heute sind. Das war mein Forschungsthema über fast 60 Jahre. Nur mit der sozialen Verantwortung, die wir ihnen jetzt vorleben, können wir sie widerstandsfähig gegen die psychische Korruption machen, die sich in der desaströsen Klimapolitik und in den sonstigen aktuellen Krisen auswirkt. Das sage ich den Lehrerinnen und Lehrern immer wieder: So wie Sie heute sind, so wie die Kinder Sie als Menschen in Ihrer Zuwendung oder Gleichgültigkeit, Ihrer Verlässlichkeit oder Unverlässlichkeit erleben, stärken oder schwächen sie in den Kindern das notwendige Selbstvertrauen, um die Zukunft zu bestehen.
Als Familientherapeut habe ich hundertfach studiert, wie Kinder nicht nur erzogen werden, sondern ihre Eltern miterziehen, denn die lernen dadurch, wie sich ihr Verhalten in den Kindern widerspiegelt, manches darüber, was sie bisher von sich nicht wussten. Gewollte Kinderlosigkeit bewirkt oft, dass Menschen sich narzisstisch verwöhnen, als wären sie ihre eigenen Kinder. Sie werden nie vollständig, wenn sie sich nicht an Kindern bewähren müssen. Richtig ist wohl, dass Ausbildung und Berufsarbeit oder Sorge vor Arbeitsverlust den Kinderwunsch blockieren können. Aber mancheEntschuldigungen sind auch vorgeschoben.
Bergrun und mir kommt manchmal die Erinnerung: Sieben Jahre haben wir seit 1946 in Westberlin in unserer Ruinenwohnung gelebt: Zwei Zimmer und eine Kammer mit gerissenen Wänden, ein einziger kleiner Ofen. Zentralheizung durch die Bombardierung kaputt. Sieben Jahre verpappte Fenster, weil uns das Geld für Glas auf dem Schwarzmarkt fehlte. Sowjetische Berlin-Blockade. Oft kein Strom. Bergrun arbeitete als Lehrerin, wie erwähnt, in einer Klasse mit ausgemusterten »schwer erziehbaren Kindern«. Ich studierte, schrieb meine philosophische Doktorarbeit, bestand daneben mein Medizin-Examen und begann mit der psychoanalytischen Ausbildung. Dazu drei Kinder, das letzte 1950, also alle in dieser Behelfswohnung. Außer einem Stipendium von der Humboldt-Universität konnte ich bis 1950 keine Mittel beisteuern. Dann kam endlich der Bescheid einer Bank über ein altes Konto meines Vaters, das uns 1953 einen Umzug aus unserer Halbruine möglich machte.
Das erzähle ich nur, weil die schwierigen Umstände keinen Augenblick
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