Moral in Zeiten der Krise
Ob der Klimaforschung nicht neben der Naturwissenschaft ein entscheidendes Element fehle, nämlich die Psychologie, wird er vom Interviewer gefragt.
Schellnhuber : »Ja wahrscheinlich. Wir Naturwissenschaftler denken: Wenn die Beweislage für die Klimafolgen bedrückend ist, sinkt die Einsicht tief genug in die politische Diskussion ein. Aber offenbar fehlt da noch etwas. Tatsächlich ist die Klimadiskussion von der Gesellschaftswissenschaft und der Psychologie kaum begleitet worden. Die Mittel, die diesen Taschen zufließen, betragen vielleicht ein Zehntausendstel dessen, was die Naturwissenschaftler bekommen.«
Das ist in der Tat so. Nur hat dies einen simplen Grund. Die Macht geschäftlicher Interessen steht der Finanzierung solcher Psychologie und Sozialwissenschaft im Wege, die unwillkommene Erkenntnisse zu Tage fördern. Betrüblicherweise muss indessen eingestanden werden, dass innerhalb der zu kritischer Einmischung berufenen Psychologie und Sozialwissenschaft Anpassungsprozesse stattfinden, die von innen her Aufklärung verhindern. Es fließt durchaus Geld, aber oft mit Bedacht an gefällige Forscher. Dafür gibt es ein ebenso schlagendes wie peinliches Beispiel, nämlich die jahrzehntelange Verschleierung der Zigaretten-Krebsgefahr unter Mithilfe williger Wissenschaftler.
Es ist fast genau ein halbes Jahrhundert her, dass eine große amerikanische Untersuchung den Zusammenhang von Zigarettenkonsum und Lungenkrebs definitiv erwies. Ein Kollege und ich berichteten darüber sofort ausführlich im deutschen Rundfunk. Prompt landete in der Intendanz die Androhung eines Tabakkonzerns einerSchadensersatzforderung in vielfacher Millionenhöhe. Wir wiederholten zwar beide nach kurzer Zeit unsere Warnung. Aber bald meldeten industriefreundliche Forscher und Institute Entwarnung. Bestätigungen und Widerlegungen der Krebstheorie hielten sich die Waage. Man wusste nicht mehr, wem man glauben sollte, am liebsten immer noch der Reklame der Konzerne. Neuerdings wissen wir aus zwangsweise ins Internet gestellten Unterlagen, dass die Industrie tief in den Kern der Institutionen eingedrungen ist, denen speziell die Erkundung und die Abwehr der Krebsgefährdung durch Rauchen obliegen. Im Spiegel (Nr. 23/06.05) konnte man lesen: »Deutsche Gesundheitswissenschaftler ließen sich viele Forschungsarbeiten, zumeist indirekt über Stiftungen, von der Tabakindustrie finanzieren – oft klammheimlich und oft mit Beiträgen in sechsstelliger Höhe. Die Resultate waren entsprechend. In ihren Veröffentlichungen verharmlosten die Forscher die Gefahren des Rauchens, sie beschönigten das Suchtpotential der Zigaretten oder spielten eine dubiose Rolle bei der Zulassung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten.« Die Ergebnisse einer weiteren Studie vom November 2005 hat Udo Ludwig zusammengefasst. Danach haben mindestens 80 Klinikprofessoren Gelder von der Tabakindustrie angenommen, vor allem Internisten, Toxikologen, Lungenfachärzte. Sie wurden, laut Ludwig, »im Nebenjob Teil der Geschäftsstrategie der Zigarettenkonzerne«. Genannt wurden die Namen prominenter Wissenschaftler.
Ich habe darüber auf dem 3. Kongress »Medizin und Gewissen 2006« in Nürnberg geredet und eine Diskussion anstoßen wollen. Doch gleich kam die Angst auf, dem Ruf des Standes durch Bereden der Angelegenheit zu schaden – obwohl Verschweigen das Misstrauen, dasman verhindern will, eher nährt. Die Kungelei mit der Zigaretten-Industrie ist nur ein Spezialfall, der durch das Internet bekannt geworden ist. Wir wissen ja nicht, wer wo willig mitgemacht hat, das Klimaproblem immer wieder zu vertuschen oder herunterzuspielen. Unbequem macht sich jedenfalls, wer unentwegt die verheerenden Langzeitfolgen immer wieder aufgeschobener Handlungsentscheidungen anschaulich ausmalt. Bezeichnend ist, dass der Klimafolgenforscher Prof. Schellnhuber nach dem Debakel von Kopenhagen zuerst an seinen einen kleinen Sohn gedacht hat.
Dies ist überhaupt eine vielfach versäumte Chance, die Menschen aufzurütteln. Sie brauchen konkrete Vorstellungen, wie die Welt aussieht, die wir unserem Nachwuchs in 50 oder 100 Jahren oder noch danach hinterlassen werden. Sie müssten die Völkerwanderungen aus den überschwemmten Küstenregionen und den Dürregebieten ohne Trinkwasser leibhaftig vor sich sehen und die Bilder von Gewalt in sich aufsteigen lassen, die nicht ausbleiben kann, wenn Millionen Armutsflüchtlinge in die noch relativ verschonten Wohlstandsregionen eindringen
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