Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
Seitdem hausen sie da oben, und wir hier herunten sind nicht mehr sicher.“
„Wann ist denn das letzte Mal wer angefallen worden?“, bohrte Johann nach.
„Naja, das ist eigentlich schon lang her“, grübelte Josias. „Wenn ich’s mir recht überleg, eigentlich schon sehr lang. Aber das ist bestimmt nur die Ruhe vor dem Sturm, und denk dran, dass der Winter in diesem Jahr so streng wie seit Jahren nicht mehr ist.“ Er zögerte kurz. „Diese Teufel warten nur auf den rechten Moment. Niemand in diesem Tal ist sicher, jeder kann der Nächste sein.“ Josias hielt sich ein Nasenloch zu und drehte den Kopf zur Seite. Mit einem Ruck schnäuzte er herzhaft den Tabak heraus und wischte sich die Nase an der Lodenjacke. „Bist jetzt zufrieden, Knecht?“
Johann war nicht im Geringsten überzeugt, er hielt die Geschichte für abergläubisches Geschwätz. Dennoch nickte er.
Josias stand auf. „Los geht’s.“
Johann wollte schon vom Langschlitten springen, als alle Männer einen Moment innehielten und zu beten begannen, wie es vor der gefährlichen Abfahrt Brauch war. Johann schloss sich ihnen an.
„Vater unser, der du bist im Himmel …“ Das Gebet schallte über die Lichtung und verlor sich zwischen den Bäumen.
„Alles gut und recht, aber das Gebet tut’s nicht für die Abfahrt.“ Anton, einer der Knechte, hatte diese vorwitzigen Worte ausgesprochen. Josias gab ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
„Reiß dich zusammen! Sei froh, wenn der Herrgott auf uns schaut.“
„Aber Recht hat er“, sagte Albin und zog einen ledernen Trinkschlauch aus seinem Mantel. „Und Brauch ist es außerdem.“
Die anderen Knechte murmelten zustimmend.
Albin öffnete den Trinkschlauch, stieß ein
In Gott’s Namen!
hervor und nahm einen tiefen Schluck. Er verzog das Gesicht und reichte Johann den Schlauch. „Keine Angst, ist kein Krautinger. Für die Abfahrt gibt’s was Besseres, das ist von jeher so.“
Johann nahm einen kräftigen Schluck. Sofort schoss ihm der wohlbekannte, faulige Geschmack in die Nase.
Krautschnaps, was sonst.
Er sah Albin und die anderen grinsen, verbiss sich aber jede Bemerkung und reichte den Schnaps weiter. Nachdem alle getrunken hatten, riefen sie zusammen
„In Gott’s Namen!“
und wandten sich ihren Schlitten zu.
„Alsdann, Johann: Wir beide bilden den Abschluss. Wenn du da runterschaust,“ Albin deutete auf die Kurve, die im Wald verschwand, „und die anderen vor dir außer Sicht sind, fangen wir an. Wir schieben den Schlitten, bis er zu laufen anfängt, dann springen wir auf die Bloche. Das Bremsen überlässt du am besten mir, aber du kannst auf deiner Seite mit der Tatzen, das ist diese Stange da, in deine Richtung lenken. Aber nicht zu fest! Ist halt wie bei einem Weib: Wenn du die Zügel zu sehr anziehst, dann geht gleich gar nichts mehr, aber wenn du sie zu sehr laufen lässt, fährt sie mit
dir
Schlitten.“
Johann sah erst den riesigen Schlitten, dann Albin zweifelnd an.
Albin lachte und boxte ihn auf die Schulter. „Wird schon schiefgehen.“
Es war ruhig und friedlich im Wald. Der Weg, der neben dem verschneiten Unterholz steil bergab führte, lag verlassen da.
Ein Schneehase tauchte aus dem Unterholz auf und lief über den Weg.
Plötzlich ertönte ein lautes Rumpeln, der Boden erbebte. Der Schneehase verschwand blitzschnell zwischen den Bäumen.
Ein herzhaftes Jauchzen schnalzte durch die Luft, dann schossen Johann und Albin auf ihrem hölzernen Ungetüm vorbei. Nach wenigen Augenblicken waren sie außer Sicht.
Stille kehrte wieder im Wald ein …
Die Sonne hatte den Schnee mittlerweile leicht angetaut, die oberste Schicht bildete eine perfekte Unterlage für die Kufen der Schlitten. Links von Johann und Albin zogen die Bäume pfeilschnell vorbei, rechts fiel der Abhang fast schnurgerade bis ins Tal hinab.
Trotz der offensichtlichen Gefahr war Johann von der rasend schnellen Fahrt begeistert. Der kalte Fahrtwind trieb ihm die Tränen in die Augen, ließ sein Gesicht erst brennen und dann erröten. Unwillkürlich ließ er einen Juchzer los.
„Na, hab ich dir zu viel versprochen?“, rief Albin, der die Fahrt ebenso genoss.
Johann schüttelte begeistert den Kopf.
„Jetzt kommt gleich die erste Linkskurve. Da musst du anziehen, Johann!“ Albin presste die Füße auf die Sperrketten, der Schlitten verlangsamte seine Fahrt, begann leicht hin und her zu schwimmen und warf hinter sich eine Gischt voller Schnee aus, als würde er davon
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