Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
würde sie ihren Abschluss finden.
Der hagere Jesuit stand auf, trank einen Schluck Wasser und machte sich mit einem tiefen Durchatmen bereit für seinen „längsten Tag“, wie er in scherzhaft zu nennen pflegte.
Der prunkvolle Saal im Hause der Gesellschaft Jesu hatte nichts von seiner Pracht eingebüßt, seit von Freising hier das letzte Mal Bericht erstattet hatte. Sooft er den Raum auch schon gesehen hatte, er war immer wieder beeindruckt, besonders von dem riesigen Wandfresko, auf dem Ignatius von Loyola die Bulle „Regimini Militantis Ecclesiae“ von Papst Paul III. entgegennahm.
Dies war der Beginn der Gesellschaft Jesu.
Seines Ordens.
Vor dem Fresko stand ein langer Eichentisch, prunkvoll verziert, dahinter thronte Franz Anton von Harrach zu Rorau, Bischof von Wien. Neben ihm hatten die vier Oberen der Wiener Orden Platz genommen.
Links vom Bischof saßen Pater Virgil Albert, Oberster der Gemeinschaft Jesu und langjähriger Vertrauter von Freisings, neben ihm Pater Heinrich Thomas von Reuß, ein Kapuziner.
Zur Rechten des Bischofs saß der Dominikaner Pater Bernardus Wehrden, wachsam und starr wie eine Statue. Etwas abgerückt von ihm hatte Bruder Jeremias Kleiner von den Franziskanern Platz genommen
Und vor den fünf Männern, auf einem kleinen Tisch, saß von Freising und ordnete seine Notizen. Hinter ihm, etwas versetzt, kauerte Basilius, der desinteressiert die Fresken anstarrte.
Es war still im Raum, alles schien innezuhalten. Von Freising kam es vor, als waren sie Teile eines Bildes.
Dann durchbrach der Bariton des Bischofs die Stille. „Gott zum Gruße, Bruder von Freising! Ich freue mich, Euch persönlich in Wien begrüßen zu dürfen. Besonders da mein geschätzter Vorgänger, Gott habe ihn selig, so viel Gutes über Euch zu berichten wusste. Ebenfalls begrüßen darf ich meine lieben Mitbrüder zu meiner Linken und Rechten, die ja schon mehrmals in den Genuss Eurer Reiseberichte kommen durften.“
Dass der neue Bischof redselig war, hatte von Freising bereits gehört, aber mit dieser überschwänglichen Eröffnung hatte er nicht gerechnet.
„Und da ich Euren Erzählungen bestimmt ebenso entgegenfiebere wie alle hier im Raum, bitte ich Euch sogleich zu beginnen.“ Der Bischof lehnte sich in seinem überdimensioniert wirkenden Stuhl zurück, legte die Hände auf seinen Wamst und machte ein Gesicht, als würde er die Erscheinung der Jungfrau Maria erwarten.
Von Freising passte sich unbewusst der weihevollen Art des Bischofs an, räusperte sich theatralisch und blätterte die erste Seite seiner Notizen auf. „Zunächst darf ich Euch für Eure freundlichen Worte danken. Ich komme gleich zur Sache, denn ich weiß, dass eure Zeit knapp ist, besonders die von Bruder Bernardus.“
Den Seitenhieb hatte er sich nicht verkneifen können – jeder im Raum wusste, dass der Dominikaner der offizielle Beauftrage für alle hochnotpeinlichen Befragungen war. Die unterirdischen Kerker der Dominikaner waren voll mit Unglücklichen, die sich der Tortur aussetzen mussten. Von Bernardus hieß es, dass er die Befragungen gern höchstpersönlich durchführte, obwohl er dazu nicht verpflichtet war.
Von Freising hatte ihn einmal gesehen, als er einem Delinquenten in den Dominikanergewölben die letzte Beichte abgenommen hatte: Bernardus war durch die Gänge geschritten, in denen die Schreie der Gefolterten widerhallten, das Gesicht des Dominikaners war gerötet, mit Augen, die wie im Fieber glänzten, die fleischigen Lippen aufeinandergepresst. Das weiße Ordensgewand war mit Blutflecken übersät, für von Freising hatte er ausgesehen wie ein Fleischhauer und nicht wie ein Mönch, der Gottes Werkt tat.
„Fahrt fort, Bruder.“ Der Bischof machte eine Handbewegung. Bernardus’ Blick durchbohrte von Freising, er enthielt sich aber jeden Kommentars.
Von Freising begann zu erzählen, sein Reisebericht umfasste die letzten drei Jahre, die ihn, von Wien ausgehend, bis in den hohen Norden ins Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, über das Königreich Frankreich bis nach Spanien geführt hatten.
Er versicherte, dass er, sofern es ihm irgendwie möglich war, allen Berichten über Erscheinungen, Besessenheiten und Wunder nachgegangen war. Er habe mit vermeintlichen Augenzeugen, Angehörigen und Oberen gesprochen und die Stätten des Geschehens aufs Genaueste untersucht. Aber wie immer hatten sich die meisten Berichte als nicht nachhaltig oder einfach frei erfunden erwiesen, oftmals angetrieben von Neid
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