Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
Grabsteinen, und Johann und Elisabeth gingen zum Graben.
Am Fuße der Pestsäule, die von den Ständen des Gemüsemarktes gesäumt war, lungerten Bettler in der Hoffnung auf eine milde Gabe. Die meisten waren Kriegsinvaliden, denen eine oder mehrere Gliedmaßen abgerissen oder abgesägt worden waren.
Johann gab einem der Invaliden, einem alten Mann, einen Kreuzer. „Wo hast du gekämpft?“
Der Alte steckte den Kreuzer ein, dann musterte er Johann von oben bis unten. „Hier. Gegen die Türken.“
Johann lächelte. „Dann bin ich dir zu aufrechtem Dank verpflichtet.“
Ein warmer Glanz trat in die Augen des Mannes. „Ich danke dir.“ Dann sah er die Massen, die an der Pestsäule vorbeiströmten, die wohlhabenden Bürger, die auf die Bettler heruntersahen. Der Alte spuckte auf den Boden. „Aber gebracht hat’s mir nichts.“
Er hustete kurz aber heftig. „Für einen Kreuzer mehr“, fuhr der Bettler fort, „erzähl ich euch, was es mit dieser Säule auf sich hat.“ Johann zögerte kurz und blickte zu Elisabeth, die an die Dreifaltigkeitssäule getreten war und das Bauwerk bestaunte. Er gab sich einen Ruck und drückte dem Alten noch eine Münze in die Hand.
Die Stimme des Alten wurde salbungsvoll. „Als die Pest im Jahre 1679 schrecklich wütete, gelobte Kaiser Leopold I. eine Gnadensäule errichten zu lassen, sobald der schwarze Tod ablassen würde. Und so errichtete man noch im selben Jahr eine Holzsäule, die später durch diese hier aus weißem Marmor ersetzt wurde. Sie zeigt nicht nur die überstandene Pestilenz, sondern auch den Sieg über die Türken. Über den vergoldeten Wappen türmen sich die Engel, und über ihnen thront die Trinität unter einem Strahlenkranz aus vergoldetem Kupfer, und wacht über uns.“ Der Bettler bekreuzigte sich. „Und seither haben sowohl der Türke als auch der schwarze Tod unser Wien verschont.“
Ein wahrhaft göttlicher Anblick, dachte Elisabeth fasziniert und konnte den Blick nicht abwenden. Unbewusst faltete sie die Hände.
Hilf mir, wie du auch der Stadt gegen die Pest geholfen hast.
Johann sah, wie sie die Säule anblickte. Er wusste, wie viel Elisabeth ihr Glaube bedeutete. Vielleicht war es doch kein Fehler gewesen, hierher zu kommen, dachte er und nickte dem Bettler dankend zu.
Plötzlich verschwand die Sonne hinter den Dächern, Säule und Markt wurden in Schatten getaucht. Johann fröstelte, er trat zu Elisabeth, nahm sie sanft bei den Hüften und drückte seine Wange gegen die ihre. „Morgen ist auch noch Zeit. Lass uns den Preußen suchen.“
Elisabeth nahm seine Hand. „Wenn man das hier alles sieht, kann man sich kaum vorstellen, wie wir im Dorf gehaust haben, oder?“
„Hier ist alles nur größer, nicht besser“, meinte Johann. „Und je mehr Leute zusammen sind, desto mehr Bosheit gibt’s.“ Er drückte Elisabeths Hand. „Ich fühl mich in den kleinen Dörfern wohler. Abends eine Pfeife vor dem Hof zu rauchen, vor einem nichts als Wiesen und Wälder – mehr braucht’s nicht.“
Elisabeth blickte nachdenklich über die Straßen, die sich im Schatten verloren. Johann strich ihr über die Wange. „Wir müssen jetzt los, zum Preußen. Was hat der Schorsch noch mal gesagt?“
„Schulter Gasse –“, setzte Elisabeth an.
„Beim Judenplatz. Richtig.“ Johann ging zum nächstbesten Standbesitzer, der überreifes Gemüse feilbot.
„Wie kommen wir zum Judenplatz?“
„Da runter, sind nur ein paar Schritte“, murmelte der Mann in seinen struppigen Bart und deutete Richtung Nordwest.
Johann nahm Elisabeth bei der Hand, sie gingen schnellen Schrittes los.
XXXII
Sie marschierten durch verwinkelte, schmutzige Gassen, darauf bedacht, nicht in den tiefen Matsch des aufgeweichten Erdreichs zu treten. Als sie einen kleinen Platz erreichten, sahen sie sich um: An einigen Hauswänden waren die Namen der abzweigenden Gassen aufgemalt, allerdings nicht an allen.
Johann sah eine lateinische Inschrift unter dem Relief des Jordanhauses, das die Judenaustreibung von 1421 beschrieb. „Den Judenplatz hätten wir gefunden, jetzt müssen wir nur noch –“
„Schulter Gasse!“, rief Elisabeth triumphierend und zeigte zu ihrer Rechten.
Johann gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Aufschneider!“
Die Schultergasse war noch enger als die Gassen zuvor. Bei einem Aufmarsch würde sich hier mit Sicherheit ein Flaschenhals bilden, dachte Johann.
Taktisch gute Wahl, Herr Preuße, wie nicht anders zu erwarten.
Das Tageslicht wurde immer
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