Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
Bürger den Gottesdienst verweigert. Tatenlos zusehen dürfen wir jedoch auch nicht, weshalb ich den Sondergesandten der österreichischen Truppen General Ferdinand Philipp von Pranckh bitte möchte, uns an seiner Erfahrung bezüglich der Eindämmung solch unbekannter Epidemien teilhaben zu lassen.“
Die gesamte Aufmerksamkeit im Saal richtete sich nun auf von Pranckh. Dieser stand auf und ließ seine kalten Augen über die Anwesenden schweifen, bis völlige Ruhe eingekehrt war. Als er sprach, klang seine Stimme ohne jedes Gefühl.
„Meiner Erfahrung nach sollte jegliche Form einer Ausbreitung gegen das Allgemeinwohl im Keim erstickt werden, gleich ob militärisch oder medizinisch. Und dies kann nur durch Isolation der Kranken geschehen. Wenn ihr also nicht die Pestfahnen vor den Toren Wiens hissen wollt, so bleibt nur die völlige Abtrennung eines Teiles der Stadt, vielleicht nur eines Viertels, bis sichergestellt ist, was genau sein Unwesen in den Straßen treibt.“
Das Gemurmel im Saal wurde wieder lauter. Bernardus senkte zufrieden den Kopf.
Ein Stadtrat sprang auf. „Die Abriegelung eines ganzen Viertels, das ist Euer Vorschlag? Wie lächerlich ist –“
Mit einer Handbewegung brachte Bürgermeister Tepser den Mann zum Schweigen. Er blickte zum Bischof, der zumindest nicht den Kopf schüttelte. „Würde denn die Quarantäne eines Stadtteils der Krankheit Einhalt gebieten?“, fragte er den Stadtphysikus.
„Vorausgesetzt Ihr könnt alle Infizierten dort binden, vermutlich ja.“
Der Bürgermeister sah zu Leutnant Schickardt, der ihm ebenfalls zunickte. Er holte tief Luft, dann wandte er sich wieder an die Versammelten. „Mit Eurer Zustimmung, werte Herren des Stadtrates, ordne ich eine vierzig Tage dauernde Quarantäne an, und zwar von Unter den Tuchlauben bis zum Tiefen Graben und von der Bogner Gasse bis vor unser Rathaus. In dieses Isolationsviertel mögen alle gebracht werden denen man die Krankheit bereits ansieht oder deren Tun eine Infektion vermuten lässt. Gesunde Bürger dürfen das Viertel bis heute Nachmittag verlassen. Am Hof soll ein Medicus beurteilen, ob ein Verweis rechtens ist. Innerhalb des Viertels gilt ab sofort die Infektionsordnung von 1679.“
Es war totenstill im Saal. Tepser blickte in die Runde, konnte aber keinen Widerstand ausmachen. Er nickte allen zu und war insgeheim stolz, sich so erfolgreich durchgesetzt zu haben – etwas, was in seiner bisherigen Laufbahn als Bürgermeister selten gelungen war. „Mit der Umsetzung und rechtskonformen Einhaltung beauftrage ich die Stadtguardia und unterstelle ihr für die Dauer der Quarantäne die Rumorwache. Gott mit uns, meine Herren!“
Nur wenige Stunden später hallten rhythmische Hammerschläge durch die Gassen, die in das Quarantäneviertel mündeten. Vier Mann der Stadtguardia und zwei Mann der Rumorwache sperrten den Weg, hinter ihnen zimmerten Handwerker Holzpalisaden, welche die Gassen komplett abriegelten, knapp vierzehn Fuß hoch. Ebenso wurden die Fenster auf Gassenhöhe zugenagelt.
Die vorbeikommenden Bürger wussten, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte, senkten den Kopf und beschleunigten ihre Schritte. Viele bekreuzigten sich und murmelten ein Gebet. Die Gerüchteküche hatte ihre erste Zutat.
LXII
Der Morgen war angebrochen. Noch wussten nur die wenigsten Bewohner Wiens von dem Erlass des Bürgermeisters und der Abriegelung des Viertels.
Hans und Karl, beide in Zivilkleidung, spähten zum Gebäude der Stadtguardia, vor dem einige Bettler herumlungerten.
„Nur drei Mann, die haben ihre Wachen aufs Nötigste verringert“, konstatierte Hans.
„Eiskalt erkannt, Herr Schlaumeier. Und jetzt?“
„Jetzt warten wir ab, ob eintritt, was die Josefa gesagt hat.“
„Ich hoff, sie zahlt dann auch die versprochenen Runden Bier.“ Karl blickte Hans unsicher an.
„Die lässt sich sicher nicht lumpen. Geht immerhin um den Heinz.“
Vor dem Quartier der Stadtguardia fanden sich immer mehr Bettler ein. Die Wachen warfen sich unschlüssige Blicke zu.
„Sollen wir Verstärkung rufen?“, fragte einer der Guardisten.
„Bleib ruhig, die sitzen ihren Rausch aus und verziehen sich wieder.“
„Und was, wenn nicht?“
Einer der Bettler begann lauthals ein Lied zu singen, in das die anderen sofort mit einstimmten.
Karl begann zu grinsen. „Vorhang auf.“
An der anderen Seite des Platzes bogen acht Mann der Rumorwache im Gleichschritt um die Ecke und sahen die singenden Bettler, von denen manche auch
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