Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
Männern, die neben der Tür saßen, einen Wink. Sie standen auf und griffen nach den Verwundeten. Diese wehrten sich, das darauffolgende Handgemenge artete in eine wüste Schlägerei aus, als hätte jeder in der Spelunke nur darauf gewartet.
Der Fette hatte plötzlich ein Messer im Leib stecken, langsam blutete er sein Leben am Tavernenboden aus. Aber längst waren andere mit seinem Blut in Berührung bekommen.
Und mit dem Blut nahmen sie etwas anderes auf.
Es hatte begonnen …
„Sancta Maria, Mater Dei …“
Die Gebete erfüllten die Kirche. Plötzlich hielt Anna Dorfmeister inne, als hätte sie einen Hilferuf gehört. Sie lauschte angestrengt, aber außer den Gebeten war nichts zu hören. Sie stimmte eben wieder in das Gemurmel ein, als sie die Augen aufriss und erneut verstummte. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Der Hagere floh durch die Gassen, blutend, geschwächt, verfolgt von den Männern aus dem Wirtshaus. Er drängte sich durch die Menschen auf dem Markt, stieß sie zur Seite, hinterließ die blutigen Abdrücke seiner Hand auf Armen, Gesichtern, Kleidern.
„Ave Maria gratia plena, Dominus tecum …“
Anna starrte wortlos auf den Altar, auf den geschundenen Corpus des Erlösers. Plötzlich hatte sie die überwältigende Vorahnung von etwas Schrecklichem, das über die Stadt und seine Einwohner kommen würde. Ihre Augen weiteten sich, ihre Finger krampften sich an den Rand der Bank.
Der Hagere lag tot in einer Seitengasse. Die Männer, die ihn verfolgt hatten, trugen das Blut und damit die Ansteckung weiter, sie gingen in Wirtshäuser, auf den Markt oder heim zu ihren Weibern.
„Adveniat regnum tuum …“
Die Sonnenstrahlen waren verschwunden, das Licht der Dämmerung begann die Kirche auszufüllen.
Anna fühlte Kälte in sich aufsteigen, fühlte ihren Körper taub werden. Sie öffnete den Mund, wollte die anderen warnen, aber nur ein Krächzen kam heraus.
„Nunc et in hora mortis nostrae. Amen.“
Anna fiel aus der Bank, ihr Körper schlug auf den Steinplatten auf. Ihre Augen waren starr. Das Letzte, was sie sah, waren der Pfarrer und die Gläubigen, die sich im roten Licht der Dämmerung über sie beugten. Schatten ließen die Linien in ihren Gesichtern schwarz erscheinen, ihre Augen waren Löcher, Abgründe.
Sie sahen aus wie tot, alle, die Frauen, Männer und Kinder …
LIX
Von Freising konnte nicht glauben, was ihm Pater Virgil gerade berichtet hatte. „Gefangen? Seid Ihr sicher?“
Virgil nickte bedächtig. „So hat man es mir gesagt. Die Stadtguardia hat gestern im Morgengrauen zwei Männer verhaftet, von denen einer der von Pater Bernardus gesuchte sein soll. Ob auch Frauen dabei waren, weiß ich nicht.“
„Und was hat Bernardus jetzt mit ihnen vor?“
„Das weiß der Herr allein. Vielleicht hat er nur ein paar Fragen an sie. Womöglich auch über Euch?“
„Dem blicke ich mit reinem Gewissen entgegen. Aber um mich sorge ich mich nicht.“
„Vielleicht müssen wir uns auch keine Sorgen machen, und Bernardus geht es wirklich nur um eine Klarstellung.“ Doch es war offensichtlich, dass Pater Virgil selbst nicht an seine Worte glaubte. „Darüber wollte ich Euch nur in Kenntnis setzen. Schließt sie in Eure Gebete ein. Omnia Ad Maiorem Dei Gloriam.“ Pater Virgil verließ die Kammer.
Von Freising wusste nur zu gut, was das bedeutete. Bernardus war nicht für seine Nächstenliebe bekannt, sondern einer jener Männer, die für den gefürchteten Ruf der Kirche verantwortlich waren. Und die das auch noch als Kompliment verstanden.
Von Freising wusste auch, dass er nichts für Johann und Elisabeth tun konnte, dass er selbst ohne Hausarrest nicht den Funken einer Chance hatte.
Er senkte den Kopf. Die Hilflosigkeit konnte nicht einmal sein Glaube besiegen.
Josefa schloss über sich die Luke und leuchtete den kleinen Raum mit der Ölfunzel aus.
Elisabeth lag zusammengekauert in einer Ecke und starrte ins Nichts.
„Elisabeth?“ Josefa kam behutsam näher und nahm Elisabeth in die Arme. „Was ist denn los?“
Elisabeth erzählte mit leerer Stimme von ihrem Versuch, Johann zu befreien, von den beiden Männern, von ihrer Gegenwehr. Und von der Krankheit.
Josefa ließ Elisabeth los und wich zurück. Sie erinnerte sich, wie Johann von der Ereignissen im Dorf erzählt hatte, wollte sich gar nicht vorstellen, was ein Ausbruch dieser fürchterlichen Krankheit für Wien bedeuten würde. Und noch weniger wollte sie mit einer von ihnen im
Weitere Kostenlose Bücher