Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
machen. Allerdings wusste er auch, dass sich daraus Vorteile für ihn ergaben. „Sagt Pater Bernardus, er könne auf mich zählen.“
Basilius huschte davon.
Wie eine Ratte, dachte von Pranckh.
„Ruhe, meine Herren, ich bitte um Ruhe!“, versuchte sich Bürgermeister Jakob Daniel Tepser Gehör zu verschaffen. Langsam legte sich die Kakophonie aus Argumenten und Gegenargumenten, aus Gerüchten und Vermutungen und machte einer stillen Anspannung Platz.
„Wir beginnen die heutige Sondersitzung des Stadtrates mit einer Erläuterung des Status quo durch den geschätzten Stadtguardialeutnant Wirich Georg Schickardt.“ Der Bürgermeister machte eine kurze Handbewegung zu Schickardt und setzte sich.
Der stand auf, räusperte sich. „Werter Stadtrat, hohe Geistlichkeit. Wann es passierte, lässt sich zum momentanen Zeitpunkt nicht genau sagen, dass es passierte, ist aber unumstritten. Wir vermuten, dass sich eine besonders aggressive Form der Pest brandartig ausbreitet. Brandartig deshalb, weil einige der Kranken der Raserei verfallen und gesunde Bürger auf gemeinste und vorsätzlichste Weise infizieren. Ich habe bereits die Mobilmachung der gesamten Stadtguardia angeordnet, die zum Schutze aller mit größtmöglichen Kompetenzen auszustatten wäre. Ebenso fordere ich das für die Rumorwache.“ Schickardt blickte zum Rumorhauptmann, der missbilligend mit den Schultern zuckte.
„Ich möchte Ihnen nichts vormachen, werte Herren des Stadtrates. Wenn wir die Ausbreitung nicht mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln eindämmen, wird es in Wien in weniger als sieben Tagen niemanden geben, der nicht infiziert ist.“ Er blickte scharf in die Runde. „Niemanden!“
Lautstarke Schreckensbekundungen füllten den Saal. Bürgermeister Tepser erhob sich aus seinem prunkvollen Sessel und deutete dem Leutnant, sich wieder zu setzen. „Ruhe, meine Herren, ich bitte Sie!“ Er blickte verärgert in die Runde, in der niemand von ihm Notiz nahm, so griff er sich das nächstbeste Buch und ließ es mit dumpfem Knall auf den Tisch donnern. „Ruhe, wir sind hier ja nicht auf dem Viehmarkt, verflucht noch einmal!“
Die Männer des Stadtrats verstummten augenblicklich. Tepser holte tief Luft und wandte sich dann wieder an Schickardt. „Ich danke Euch für diese Einschätzung der Lage. Auch ich habe die Schreckensmeldungen gehört, wonach ein Bürger den anderen aus nicht ersichtlichen Gründen angefallen und versehrt hat. Und ich teile Eure Auffassung über die Dringlichkeit zu handeln. Doch was wollen wir tun, ohne das Schreckgespenst der Pest vor die Tore zu hängen? Eine mehrmonatige Quarantäne wäre für unser Wien und für viele unserer Handelsleute nach diesem gestrengen Winter der sichere Ruin.“
Bürgermeister Tepser. Einmal Leinwandhändler, immer Leinwandhändler. Von Pranckh musste schmunzeln.
„Zumal wir ja noch nicht genau wissen, ob es sich überhaupt um die Pest handelt?“, fragte der Bürgermeister den Stadtphysikus. „Wie lautet das Urteil unseres Magister Sanitatis?“
Der hagere Mann erhob sich und streckte sein habichtähnliches Gesicht nach vorn, als hätte er etwas gewittert. „Nun, die Toten, die ich bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte, wiesen keine der typischen Merkmale der letzten Seuche auf.“
Der Bürgermeister machte ein zufriedenes Gesicht.
„Ich kann also nicht mit Sicherheit bezeugen“, fuhr der Stadtphysikus fort, „ob der Pestilenzfunke in die Stadt gesprungen ist. Trotzdem empfehle ich, ebenso wie meine geschätzten Kollegen, der Chirurgus Sanitatis und der Inspector Mortuorum, die Wiener Infektionsordnung von 1679 unverzüglich und im vollen Ausmaß in Kraft treten zu lassen.“
Bürgermeister Tepser fror das Gesicht ein, ein unstetes Murmeln keimte im Saal auf.
„Ihr verlangt also allen Ernstes“, fragte der Bürgermeister mit zunehmend lauter werdender Stimme, „alle öffentliche Veranstaltungen einzustellen, alle Trinkstuben, Ständehäuser und Schulen zu schließen, alle Märkte aufzulösen sowie sämtliche Gottesdienste, Weihen und Messen zu unterbinden?“ Tepser blickte zur Geistlichkeit.
Bischof Harrach überlegte einen Moment lang, dann nickte er Pater Bernardus zu. Dieser erhob sich mit einer beruhigenden Handbewegung. „Aber, liebe Mitbrüder, ich bin mir sicher, dass der Magister Sanitatis nicht im Sinne hat, auf einen Streich das öffentliche Leben anzuhalten, geschweige denn den Zorn des Herren heraufzubeschwören, indem er den geplagten Seelen der
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