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Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Aaron Payton
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bewohnte ein kleines Apartment im Erdgeschoss eines Hauses, das sich in der Nähe des Charter House befand und ausschließlich von unverheirateten berufstätigen Frauen und deren verwitweter Vermieterin bewohnt wurde. Nachdem sie sich als Mr. Smythe verkleidet hatte, verließ sie hastig ihr Zimmer und eilte zur Haustür hinaus. Dabei hoffte sie, dass nicht gerade zufällig ein Nachbar hinübersehen und einen seltsamen Mann entdecken würde, der das Grundstück verließ. So etwas würde eine Menge schockiertes Gerede und einen Besuch von der Vermieterin nach sich ziehen. Vielleicht würde sie die Mieterin, der sie den Umgang mit seltsamen Männern am ehesten zutraute, sogar vor die Tür setzen.
    Nachdem Ellie es ums Eck geschafft hatte, ohne dass sie irgendeinen erschrockenen Ruf gehört hätte, schritt sie selbstbewusster aus, bis sie einen Omnibus nehmen konnte. Sie schwang sich auf den Wagen und war entzückt, wie viel Bewegungsfreiheit ihr die Hosen ließen. Der Omnibus rumpelte die festgelegte Strecke entlang, während es dem jungen Fahrer an der Bremse vor der Maschine zu grauen schien, die er doch selbst steuerte. Ellie fuhr so nah an das Viertel heran, wie es mit dem Omnibus möglich war, und ging den restlichen Weg zu Fuß.
    Ihr Erscheinungsbild war für diesen Stadtteil viel zu vornehm, und einige Arbeiter auf der Straße warfen ihr finstere Blicke zu. Aber andere Männerkleidung besaß sie nicht, und es kam ohnehin nicht selten vor, dass angesehene Männer in solchen Stadtteilen verbotene Vergnügungen suchten. Sie schlich die Straßen entlang, roch den Mief vom Fluss und wich den Scharen aus, die Waren an Menschen verkaufen wollten, die sich diese kaum leisten konnten. Im Vorbeigehen spähte sie in verschmierte Kneipenfenster. Als die Sonne langsam unterging und die Schatten, in denen sie sich verstecken konnte, immer länger wurden, begann sie sich weniger beobachtet und sicherer zu fühlen.
    Ihr Kollege Barnard vom Argushatte ihr gesagt, dass Abel Values unbestrittenes Territorium einen großen Teil von Alsatia umfasste, was sie nicht überraschte. Ellie fand es plausibel, dass die Morde an Values Angestellten hier passieren würden. In diesem Fall war vermutlich auch Lord Pembroke irgendwo in der Nähe, um die Gegend im Auge zu behalten, in der Hoffnung, den Mörder auf frischer Tat zu ertappen. Ellie wollte ihn gern interviewen, wenn er seine Angelegenheiten zu Ende geführt hatte, doch sie war nicht Reporterin geworden, um sich etwas diktieren zu lassen. Sie wollte vor Ort dabei sein, inmitten der Geschehnisse. Cooper hatte sie oft ermahnt – „Sehen Sie sich die Geschichte an, aber seien Sie nicht die Geschichte“ – und sie respektierte die Wahrheit, die in diesem Satz lag. Sie wollte sich nur die Geschichte aus allernächster Nähe ansehen.
    Leider sah sie jedoch wenig Interessantes. Mehrere Frauen machten ihr Angebote, was zumindest bewies, dass ihr Verkleidung überzeugte. Doch sie lehnte stets dankend ab, ohne zu nahe heranzukommen. Falls Mr. Value Straßenwachen aufgestellt hatte, passten sie sich gut an die anderen Männer an, die aus den Kneipen getorkelt kamen oder im Schatten herumlungerten und die Betrunkenen misstrauisch beobachteten. Von einem Mord oder von Lord Pembroke war keine Spur zu sehen.
    Der Abend wurde später, die Luft kühlte ab, und die schrecklich seltsamen Lichter am Himmel wallten und wogten wie unnatürliche Bänder. Ellie hatte Hunger und Durst, und ihre Füße schmerzten in den Männerschuhen, die ihr nicht recht passten. Sie beschloss, nach Hause zu gehen und zu schlafen. Sie musste am nächsten Morgen noch ihren Artikel über den Besuch im mechanischen Freudenhaus fertig schreiben. Plötzlich zerriss ein schriller Pfiff die Luft. Einige Leute sahen auf, runzelten die Stirn und kümmerten sich dann wieder um ihre eigenen Angelegenheiten, doch für Ellie klang das Geräusch wie ein Signal. Sie begann sich so lässig wie möglich in die Richtung zu bewegen, aus der das Pfeifen kam. Doch nach drei Pfiffen ertönte es kein weiteres Mal, und sie konnte seine Herkunft nicht genau bestimmen. Nach kurzem Zögern lief sie eine enge Gasse entlang, die mit zersplitterten Kisten vollgestellt war, und wo ein Abfallhaufen den süßlichen Geruch verrotteter Früchte verströmte. Ein Mann eilte durch die Gasse auf sie zu; er rannte fast. Ellie fiel auf, dass er einen sehr feinen, leuchtend grünen Mantel trug. Ein recht gewagter Farbton, doch im Halbdunkel war er schwer zu

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