Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
auf den Stufen eines halbverfallenen Ziegelbaus auf der anderen Straßenseite hockten. Sie drückte sich gegen die Wand des Lagerhauses, schlich vorwärts und spähte ums Eck. Gerade verschwanden Pimm, sein kräftiger Partner und die anscheinend tote Frau in einem Eingang, der aussah wie eine Kellertür. Er wurde von einem zerlumpten Mann bewacht, der wohl entweder in Lord Pembrokes oder in Values Diensten stand. Waren sie dabei, die Leiche zu verstecken? Der Keller eines Gebäudes in nächster Nähe von Whitechapel war sicherlich ein geeigneter Ort dafür, doch warum wollten sie die Tote überhaupt verstecken?
Ellie beschloss, im Schatten auf der anderen Straßenseite Stellung zu beziehen und dort zu warten, bis Lord Pembroke wieder auftauchte. Falls der Eingang zum Keller irgendwann einmal unbewacht sein würde, könnte sie sich auch hinunter stehlen und selbst herausfinden, was da im Dunkeln lauerte. Vielleicht würde das, was sie dort fand, einige ihrer Fragen beantworten. Lord Pembroke, Value, Oswald, die mechanischen Kurtisanen, ermordete Mädchen – wie hingen all diese Dinge nur zusammen?
Ellie hatte das Gefühl, einen kurzen Blick auf etwas weit Größeres erhascht zu haben, als es zunächst den Anschein hatte – einen Berggipfel, der durch die Wolken brach, die zerklüftete Spitze eines Eisbergs, der auf der Meeresoberfläche zu sehen war. Dieses Gefühl hatte sie schon in viele große Geschichten hineingeführt. Cooper nannte es ihre „weibliche Intuition“, zwar nicht ohne ein gewisses Maß an Bewunderung, doch sie zog es vor, von journalistischem Instinkt zu sprechen.
Sie schlich über die Straße und fand einen geeigneten Hauseingang, wo sie sich unterstellen konnte. Die Tür hatte man ungeschickt mit Brettern verbarrikadiert, die rechtmäßigen Bewohner würden also wahrscheinlich nicht allzu bald zurückkommen. Im Vertrauen darauf, dass die Schatten sie ganz und gar verbergen würden, drückte Ellie sich mit dem Rücken gegen die zugenagelte Tür und konzentrierte sich darauf, die Gasse zu beobachten.
Nach wenigen Minuten erschien der große Mann wieder, der Lord Pembroke geholfen hatte, den Körper der Frau zu tragen. Er hielt kurz an, um mit dem Mann zu sprechen, der die Kellertür bewachte, und ging dann eilig seiner Wege. Ellie wurde nervös, während sie darauf wartete, dass Lord Pembroke herauskam, was er aber nicht tat. Aus zehn Minuten wurden fünfzehn, dann zwanzig, dann eine halbe Stunde und schließlich beinahe eine ganze Stunde. Ihr schmerzten die Füße, ihr Bein schlief immer wieder ein, und die Bandagen um ihre Brust juckten. Sie fürchtete, dass sie mit einem Krampf im Bein zusammenbrechen würde, falls sie in Gefahr geriet und rennen musste. Als sie das Stillstehen schließlich nicht mehr aushielt, trat sie aus dem Türrahmen heraus und schlängelte sich am Gebäude vorbei, bis die Tür und der Wächter nicht mehr zu sehen waren. Sie streckte die Arme über dem Kopf aus, beugte die Knie und drehte den Oberkörper, wobei sie zusammenzuckte, weil ihre Muskeln gegen die Dehnung protestierten. Sobald sie sich wieder wie eine lebendige Frau und nicht mehr wie eine halbgeschnitzte Statue fühlte, bewegte sie sich zurück zu ihrem Hauseingang.
Sie war kaum fünf Schritte gegangen, als etwas Scharfes und Spitzes sie in den Rücken stach, rechts von ihrer Wirbelsäule, direkt über ihrer Niere. „Na, endlich kommst du mal raus aus diesem Hauseingang“, zischte ihr eine Männerstimme ins Ohr. „Ich dachte schon, ich müsste ganz frech auf dich zugehen, um rauszukriegen, was du hier willst.“ Der Mann, der das Messer gegen sie hielt, pfiff, und der zerlumpte Wächter vom Ende der Gasse tauchte auf und trottete herüber.
„Wer ist das denn?“, sagte er.
„Ein Spion, aber ich weiß nicht, für wen oder warum“, sagte der Mann hinter ihr. Ellie drehte sich der Magen um, als sie seine Stimme erkannte. Es war „Crippler“ Crippen aus dem mechanischen Bordell. Vielleicht musste er zur Strafe in diesem heruntergekommenen Viertel Wache halten, weil Mr. Smythe ihm gestern entwischt war. Diesen Fehler hatte er nun wieder gut gemacht, auch wenn Ellie fürchtete, dass ihr das ganz und gar nicht gut tun würde. Crippen stieß sie mit dem Messer an, nicht so fest, dass er die Haut ritzte, aber doch fest genug, um sie an diese Möglichkeit zu erinnern. Ellie hoffte, dass das Messer Mr. James’ Mantel nicht beschädigt hatte. Einen Augenblick später wurde ihr klar, dass diese Hoffnung
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