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Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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anschließend die Arme vor der Brust.
    Eine solche Begrüßung hatte Kai nun wirklich nicht erwartet. Voller Freude war er gegen zehn Uhr Richtung Friedrichstraße gefahren, erst mit der U-, dann mit der S-Bahn, wo der Buttermann-Verlag, nur einen Steinwurf vom Ostberliner Friedrichstadt-Palast entfernt, seine Büroräume hatte. Unterwegs hatte er sogar noch einen opulenten Strauß Frühlingsblumen gekauft, der jetzt in einer Glasvase zwischen ihm und der Pressefrau steckte.
    »Jetzt gucken sie nicht so traurig, lieber Herr van Harm, wir sind nicht unzufrieden, sondern, lassen Sie es mich so sagen: Wir hätten uns ein bisschen mehr erhofft.« Wie immer trug Frau Dr. Gruber ein klassisches Kostüm zu einer klassischen Bluse, grau und weiß. Ihre Haare – schwarz, hier und da von einer weißen Strähne durchzogen – hatte sie zu einem strengen, klassischen Pferdeschwanz nach hinten frisiert. Sie war höchstens zwei, drei Jahre älter als Constanze, schätzte Kai.
    »Aber …«, hob Kai an und verstummte sofort wieder, weil er merkte, dass seine Stimme einen beleidigten Tonfall angenommen hatte. Schon nach nur einem Wort. Dagegen konnte er vorerst nichts machen, also ließ er Frau Dr. Gruber reden.
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen«, sagte Frau Dr. Gruber dann auch sofort und nippte mit ihren kirschroten Lippen ganz kurz am Wasserglas. »Ihr Buch ist gerade mal einen Monat auf dem Markt, vielleicht bekommen wir ja noch ein paar schöne Rezensionen, was sehr hilfreich wäre für den Buchhandel. Das kann man natürlich nie hundertprozentig voraussagen. Aber bislang sieht es leider nicht danach aus.«
    Hätte Frau Dr. Gruber etwas anderes gesagt in diesem Moment, hätte Kai van Harm sie durchaus attraktiv gefunden. Wenn sie ihm ein Kompliment gemacht hätte, beispielsweise. Doch stattdessen stocherte sie we iter in der frischen Wunde herum, von der Kai bis eben noch nicht gedacht hätte, dass es sie geben könnte.
    »Im Prinzip ist das Schicksal eines Buches schon vor der Veröffentlichung entschieden. Wird es von den Händlern nicht geordert und in die Regale gestellt, existiert es praktisch nicht. Spätzünder, die dennoch zu den Lesern finden, sind die ganz große Ausnahme. Sie kommen ungefähr so häufig vor wie ein Sechser im Lotto«, sagte Frau Dr. Gruber und nippte erneut an ihrem stillen Wasser.
    »Ja, aber was stimmt denn nicht mit meinem Buch«, fragte Kai van Harm. Und leider klang seine Stimme noch immer mehr als unsouverän. Sie war jetzt pure Empörung und verzweifeltes Pathos.
    »Ach«, sagte Frau Dr. Gruber, »ich würde nicht mal sagen, dass etwas nicht stimmt mit Ihrem Buch. Es liegt nur – und das leider sehr deutlich – völlig neben den aktuellen Trends. Die Leser wollen einfach etwas anderes lesen im Moment. Spannung. Thriller, blutrünstig und rasant. Ohne viel Chichi. Pure Handlung, reines Genre. Bücher, die geschnitten sind wie Kriminalfilme. Knappe Szenen und keine seitenlangen Beschreibungen der Charaktere. Die womöglich noch psychologisch sind. Besonders Letzteres ist ja mal so was von vollkommen out«, sagte Frau Dr. Gruber.
    »Wirklich wahr?«
    »Ja, aber wie gesagt, geben Sie die Hoffnung nicht auf. Sie haben ja eine zweite Chance von uns erhalten. Und es gibt ja durchaus auch Menschen, die durchs Lottospielen Millionäre geworden sind. Vergessen Sie das nicht.«
    »Es gibt auch Leute, die auf dem Abtritt vom Blitz erschlagen wurden«, sagte Kai.
    »Warten Sie kurz«, sagte Frau Dr. Gruber. Sie erhob sich und zupfte mit zwei sehr resoluten Bewegungen ihren knielangen Rock zurecht. Im Herausgehen tätschelte sie noch Kais rechten Arm, der wie erschossen auf dem Tisch lag, genau zwischen Keksteller und Blumenvase, so gefühl- wie nutzlos.
    Dann war van Harm allein in ihrem Büro. Er starrte auf all die Meter erfolgreicher Bücher, die wie eine Trophäensammlung in einem wandausfüllenden Regal hinter Frau Dr. Grubers Schreibtisch aufgereiht waren. In den folgenden fünf Minuten war Kai der einsamste Mensch auf der Welt. Aber er hatte auch einen Moment der Erleuchtung in diesen fünf Minuten. Er ahnte mit einem Mal, wie sich die Autoren gefühlt haben mochten, die er jahrelang gemaßregelt hatte in seinen eigenen Buchrezensionen. In seiner Funktion als Literaturkritiker und Kulturredakteur. Denn natürlich hatte es ihm viel mehr Freude bereitet, Bücher zu verreißen, als sie zu loben. So war nun mal der Mensch, da musste man sich gar nichts vormachen. Hämisch, neidisch, schadenfroh.

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